Über Stock und Reifen: Björn Hahn beim Corss-Hindernis-Lauf Runterra in Zirndorf bei Nürnberg Foto: StN

Er schwimmt durch eiskalte Seen, robbt im Matsch oder holt sich Stromschläge in dunklen Tunnelröhren: Cross-Hindernis-Läufer Björn Hahn setzt sich enormen Strapazen aus. Und kennt trotzdem kein größeres Glücksgefühl.

Stuttgart - Als Björn Hahn wieder auftaucht, weiß er für Sekunden nicht mehr, wo er ist. Das Wasser ist so kalt, es scheint sein Gehirn einzufrieren. Dann, nach einer kurzen Phase der Benommenheit, fällt es ihm wieder ein: der Strongman-Run auf dem Nürburgring. Natürlich. Woher sonst sollten auch die ganzen ächzenden und bibbernden Menschen um ihn herum kommen?

Bei dem größten Cross-Hindernis-Lauf in Deutschland sind gemeinsam mit Hahn dieses Jahr knapp 13 000 Läufer an den Start gegangen. Ganz vorne dabei: Der Verein Getting Tough aus Nürtingen, bei dem Björn Hahn seit 2012 Mitglied ist. Bei dem Strongman-Run hat Getting Tough dieses Jahr die Teamwertung gewonnen.

Zwar ist das Rennen zum größten Cross-Hindernis-Lauf in Europa avanciert, doch die Anfänge der Sportart liegen im Tough Guy Race im englischen Wolverhampton. Hahns Teamkollege Charles Franzke ist dort am 26. Januar dieses Jahres als Erster über die Ziellinie gerannt oder, besser gesagt, gestolpert. Der Verein holte auch den Sieg in der Teamwertung – und ist europaweit Spitze in dieser jungen Sportart.

Ligen oder größere Verbände gibt es in der noch jungen Disziplin ebenso wenig wie ein festes Regelwerk. Grob lässt sich aber sagen, dass die Rennen meist über rund zwölf bis 25 Kilometer Distanz gehen und zwischen 20 und 40 Hindernisse enthalten.

Matschrennen erinnert an eine Militärausbildung

Zum ersten Mal ausgetragen wurde der sogenannte Tough Guy, das selbst ernannte „härteste Rennen der Welt“, 1986 auf dem 150 Hektar großen Grundstück des ehemaligen britischen Soldaten Billy Wilson, genannt „Mister Mouse“. Wilson entwarf in seiner aktiven Zeit Trainingscamps für Elitesoldaten. Wohl deshalb erinnert das Matschrennen an eine Militärausbildung.

Die Teilnehmer müssen nicht nur unter einem Stacheldraht durch den Matsch robben, sondern auch unter einer Holzbrücke durch eiskalte Tümpel tauchen und durch schmale Tunnelröhren kriechen. Am Ende der sogenannten Killing Fields (englisch für Todesfelder) müssen die Läufer durch brennende Heuballen rennen. In diesem Jahr hatte der Rettungshubschrauber vier Einsätze in Wolverhampton. Zwei Teilnehmer erlitten einen Herzstillstand, wurden aber erfolgreich wiederbelebt.

Beim Ur-Rennen Tough Guy sind alle Hindernisse entweder in der Natur vorhanden oder aus Holzstämmen gebaut. „Das schafft eine ganz besondere Atmosphäre, die andere Läufe so nicht haben“, sagt Björn Hahn. Ganz besonders fies ist dagegen der Tunnel, durch den alle Läufer beim Tough Guy robben müssen: In der Röhre hängen Streifen eines Vieh-Zauns von der Decke. Manche davon stehen unter Strom.

„Bei den Rennen denke ich mir manchmal: Warum zur Hölle machst du das eigentlich?“, sagt Björn Hahn. „Aber dann schaffe ich ein Hindernis, sehe einen aus meiner Gruppe oder jemand gibt mir einen Klaps, und ich renne weiter.“ So auch am 11. April dieses Jahres beim Strongman-Run. Am Tag des Schlammrennens zeigt das Thermometer gerade einmal zehn Grad, es regnet in Strömen. Auf der 26 Kilometer langen Strecke in der Eifel müssen rund 40 Hindernisse überwunden werden. Darunter Mauern aus Baumstämmen, Wasserrutschen, steile Abhänge und gestapelte Autoreifen.

Tough Guy lockt regelmäßig um die 5000 Läufer

Am Ende landet der Stuttgarter auf Rang 91. Doch um Platzierungen oder Zehntelsekunden geht es ihm eigentlich gar nicht. „Ich habe noch in keinem Sport solche Glücksgefühle erlebt“, sagt er. „Nach den ganzen Strapazen ins Ziel einzulaufen ist einfach der absolute Wahnsinn.“ Mit seiner Begeisterung ist er nicht allein.

Während der Tough Guy regelmäßig um die 5000 Läufer in den englischen Matsch lockt, werden die Schlammschlachten auch in Deutschland immer beliebter. Neben dem Strongman-Run sprießen vielerorts kleinere Cross-Läufe wie Pilze aus dem Boden. Auch der Verein Getting Tough organisiert ein Rennen: „Getting Tough – The Race“. Die Zahl der Starter hat sich binnen drei Jahren auf zuletzt 2500 verdoppelt. An diesem Samstag findet das Rennen im thüringischen Rudolstadt bei Weimar zum vierten Mal statt. Doch warum begeistern sich immer mehr für diese Schinderei?

„Vielleicht ist vielen Leuten ihr Leben zu bequem, zu unsportlich geworden. Deswegen wollen sie an ihre Grenzen gehen“, sagt Hahn. Er selbst kam über seinen Beruf als Kameramann zum Cross-Hindernis-Lauf. Gemeinsam mit Kompagnon Benedikt Lang betreibt er eine Filmproduktionsfirma auf dem Killesberg. Am Anfang beschränkten sich die beiden nur darauf, die Matschrennen mit der Kamera zu begleiten. Dann hat Hahn Blut geleckt.

„Ich habe schon immer viel Sport gemacht, spiele Fußball bei der Spvgg Stuttgart-Ost in der Kreisliga A und Tennis in der Oberliga. Aber nichts davon hat mir so viel Spaß gemacht wie Cross-Hindernis-Lauf“, sagt er. Einsteigern rät er, erst mal zwölf bis fünfzehn Kilometer am Stück laufen zu können, „ohne unterwegs zweimal zu sterben“.

Im zweiten Schritt kommt Krafttraining dazu. Hahn: „Zum Beispiel auf der Strecke Liegestütze oder Kniebeugen einbauen.“ Der dritte und vielleicht unangenehmste Part ist dann das Abhärten. Wenn er mit Vereinskollegen trainiert, schwimmen sie gemeinsam auch mal durch den Stuttgarter Bärensee. Im November. In voller Montur.

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