Mausoleum für den Sufi-Derwisch Schah Nimatollah Wali bei Kerman. Foto: Orth

Als Couchsurfer reiste Stephan Orth 62 Tage lang durch den Iran. Er besuchte das wilde Kurdistan, traf eine Domina in Teheran und wurde an der Grenze zum Irak festgenommen, weil man ihn für einen Spion hielt. Ein Gespräch.

Herr Orth, Sie haben zwei Monate im Iran verbracht. Wie kamen Sie auf die Idee?
Auf meinen Reisen haben mir andere Rucksackreisende immer wieder vom Iran vorgeschwärmt - von den Menschen dort und von ihrer Gastfreundlichkeit. Und von einem Land, das ganz anders ist, als die Klischees vermuten lassen. Mir war klar: Da muss ich hin. 2013 war ich dann zum ersten Mal im Iran, allerdings nur für zwei Wochen.

Sie sind schon ein Jahr später, im Frühjahr 2014, zurückgekehrt und haben als Couchsurfer bei Privatleuten übernachtet - obwohl das im Iran nicht erlaubt ist.
Couchsurfing nutze ich auf jeder meiner Reisen. Für mich stand von Anfang an fest, dass ich es auch auf dieser machen werde. Im Iran ist Couchsurfing zwar offiziell verboten, wer es trotzdem macht, hat aber keine drakonischen Strafen zu erwarten - man muss vielleicht einmal zwei Stunden auf der Polizeiwache verbringen und sich ausfragen lassen. Trotzdem gehen die Einheimischen beim Couchsurfing ein Risiko ein.

War es schwierig, Gastgeber zu finden?
Überhaupt nicht. Ich habe selten in einem Land so viele Einladungen auf meine Anfragen bekommen. Selbst bei einer Absage haben die Leute versucht, mich an Bekannte weiterzuvermitteln. Diese Gastfreundlichkeit habe ich noch nie so erlebt. Übrigens habe ich während der ganzen Reise nie auf einer Couch übernachtet. Meistens habe ich auf Perserteppichen geschlafen, ein paarmal auch in einem Bett. Eigentlich müsste das Buch „Teppichsurfing“ heißen.

Was reizt die Iraner an Couchsurfing?
Die Iraner haben unglaubliches Interesse an Ausländern. Sie wollen wissen, wie das westliche, das freie Leben aussieht.

Wie war es, sich als Journalist durch den Iran zu bewegen? Hatten Sie bei der Einreise Probleme?
Ich bin mit dem regulären Touristenvisum eingereist. Wer als Journalist unterwegs ist, bekommt im Iran normalerweise einen Übersetzer an die Seite gestellt, der einen die ganze Zeit über begleitet. Damit wäre es unmöglich gewesen, über das Privatleben meiner Gastgeber zu schreiben oder über die Regelverstöße, die die Iraner täglich begehen.

Welche Art von Regelverstößen haben Sie erlebt?
Gleich am Anfang der Reise war ich auf einem Geheimtreffen der örtlichen Sadomaso-Szene in Teheran. Meine Gastgeberin hatte sich als Domina geoutet. Wir haben uns nur im Park getroffen und geredet - über die Beziehung zwischen Master und Sklave und darüber, wie man Sexspielzeug selbst basteln kann.

Das gehört zum Alltag im Iran?
Sicher nicht. Aber die meisten jungen Leute haben eine gewisse Routine im Regelbrechen. Jeder Iraner unter 35 Jahren ist Mitglied bei Facebook, obwohl es offiziell verboten ist. Viele feiern Partys und trinken Alkohol - den sie zum Teil auch selbst herstellen. Einer meiner Gastgeber braut regelmäßig Bier, indem er Limonade mit Hefe und Zucker mischt und sie ein paar Tage stehen lässt. Das Ergebnis ist gar nicht mal so schlecht!

Wie ist es, als Backpacker ohne Sprachkenntnisse durchs Land zu reisen?
Überraschend einfach. Manchmal muss man sich mit Händen und Füßen verständigen. Doch die Einheimischen sind sehr hilfsbereit, und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln kommt man eigentlich sehr gut von A nach B. Busse sind meistens pünktlich - anders als in vielen Ländern Asiens oder Lateinamerikas. Außerdem ist die Kriminalitätsrate im Iran sehr niedrig. Man muss auch in großen Städten keine Angst haben, mit einer dicken Kamera herumzulaufen.

Sie haben sich also stets sicher gefühlt auf Ihrer Reise?
Nicht immer. Nur ein einziges Mal war ich in einer brenzligen Situation. An der Grenze zum Irak wurde ich festgenommen und durchsucht. Die Polizisten wollten herausfinden, ob ich ein Spion bin. Ich hatte jede Menge Bilder von Militäranlagen und Frauen ohne Schleier gemacht - und ziemliches Glück, dass sie das nicht entdeckt haben. Der Iran ist kein Rechtsstaat: Man weiß nicht, was passieren kann, falls einem Spionage vorgeworfen wird. Ich hatte noch nie so viel Muffensausen wie auf dieser iranischen Polizeiwache.

Aber Sie sind noch einmal mit dem Schreck davongekommen?
Ja. Ich hatte kurz zuvor über 200 Bilder von Männern gemacht, die mit ihren Pferden Waren über die Grenze schmuggelten. Davon waren die Polizisten irgendwann so gelangweilt, dass sie nicht weitergeschaut haben.

Welche Orte und Sehenswürdigkeiten darf man im Iran nicht verpassen?
Die Wüstenoasenstadt Yazd, die spektakulären Brücken und Prachtbauten Isfahans und Shiras mit seinen tollen Gärten. Toll ist auch das wilde Kurdistan im Westen, das vom Tourismus noch weitestgehend unberührt ist. Die Einheimischen tragen traditionelle Trachten, und es gibt wunderschöne Berglandschaften. Allerdings weiß ich nicht, ob man dort zurzeit ohne Risiko hinreisen kann. Das müsste man auf den Seiten des Auswärtigen Amts nachschauen.

Und was halten Sie für überschätzt?
Die Insel Kish im Süden - das Mallorca Irans. Die Iraner stehen total auf diese Insel. Dabei gibt es dort nur viele Hochhäuser und Shopping-Malls. Es sieht aus wie in Dubai vor 20 Jahren. Wahrscheinlich ist die Insel für viele attraktiv, weil dort ein bisschen freiere Regeln herrschen als im Rest des Landes. Frauen können ihre Knöchel oder Unterarme offen zeigen oder Fahrrad fahren - das ist für sie normalerweise verboten.

Könnte eine Frau denn, wie Sie, als Couchsurferin durch den Iran reisen?
Kaum eine Iranerin würde das machen, so viel steht fest. Aber es ist schon möglich, und man wird weniger Probleme haben, als die meisten denken. Man muss sich allerdings auf gelegentliche Missverständnisse einstellen - ein iranischer Couchsurfing-Gastgeber könnte es als Flirtversuch interpretieren, wenn sich eine Frau im T-Shirt und ohne Schleier in seiner Wohnung zeigt. Mit einem männlichen Freund an der Seite ist es sicher erheblich entspannter.

Dürfen Sie nach der Veröffentlichung Ihres Buchs überhaupt noch in den Iran einreisen?
Ich probier’ das gar nicht aus. Das war von vornherein der Kompromiss: Ich kann die Geschichten dieser Menschen erzählen, aber erst mal nicht wieder zurück. Jetzt finde ich das sehr schade. Auf meiner Reise habe ich viele Freunde gewonnen. Ich hoffe, dass mich einige von ihnen irgendwann in Deutschland besuchen werden.

Stephan Orth ist 1979 in Münster geboren. Studium der Anglistik, Wirtschaftswissenschaften, Psychologie und des Journalismus an den Universitäten Wuppertal und Brisbane, Australien. Seit 2008 Reise-Redakteur bei „Spiegel Online“. Orth lebt in Hamburg. Sein Buch „Couchsurfing im Iran: Meine Reise hinter verschlossene Türen“ (Malik Verlag, 14,99 Euro) ist im März 2015 erschienen.