Der letzte Ausgang: Die Ateliers und Bauten werden abgerissen Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Künstler von Contain’t müssen gehen. Endgültig. Eidechsen vergrämen sie. Ende Januar müssen sie das Gelände am Cannstatter Güterbahnhof räumen. Ob und wie es weitergeht, wissen sie nicht.

Stuttgart - Der Nachruf ist schön geworden. Das Magazin „Stadtpilot“ des Bundesamts für Bauwesen hat in seiner jüngsten Ausgabe einen besonderen Titelhelden: das Projekt Contain’t. „Der gemeinnützige Verein bringt frischen Wind in die Stadt“, steht da. In der Tat, gemeinsam mit dem benachbarten Zollamt und der Kulturinsel hatten sie selbst dem eingefleischtesten Kesselbewohner gezeigt, dass es am Wasen mehr gibt als Volksfest und Stadion, hatten ein alternatives Publikum zu Partys, Ausstellungen, Konzerten, Lesungen und zum Mitmachen angelockt. Doch der frische Wind ist abgeflaut, es weht ein Pesthauch. Das Totenglöckchen läutet. Die Künstler müssen weg vom Güterbahnhof.

Dort werden Wohnungen gebaut. Allerdings beginnt man damit erst 2019. Doch aufs Gelände ziehen Eidechsen. Für 4,2 Millionen Euro werden sie in Etappen umgesiedelt. Momentan leben sie nebenan, demnächst sollen sie aufs Contain’t-Areal umziehen, um Ende 2016 nach dem Abriss einer Papierrecyclingfirma auf dem Degenkolbe-Areal ihre endgültige Heimat wenige Meter weiter am Bahndamm zu finden. Warum nicht tauschen, dachten sich die Künstler? Sie gehen erst in die alte Firma und wenn die Eidechsen kommen, ziehen sie zurück.

Absage von der Stadt

Doch diese Hoffnung hat sich zerschlagen. Baubürgermeister Peter Pätzold hat in einem Brief dem Verein mit seinen 400 Mitgliedern eine Absage erteilt. „Aufgrund der Nähe zum Wohngebiet Veielbrunnen sind an diesem Standort keine öffentlichen und privaten Veranstaltungen möglich, es darf zu keiner Lärmbelästigung der Anwohner durch die Nutzungen der Container kommen“, schreibt er. Es gebe weder Strom noch Wasser oder eine Abwasserentsorgung.

Und nun? „Wir wickeln ab“, sagt Manuel Albani von Contain’t, „hier geht es für uns nicht weiter.“ Die Bar ist schon abgebaut, das Schiff folgt demnächst, die Waggons werden wohl verschrottet, die Ateliers eingemottet. Zwar wollen sie die Grenzen zeitweiligen und zeitgenössischen Bauens ausloten, aber beim Angebot der Stadt, mit drei Containern umzuziehen, ist tatsächlich die Grenze erreicht. Der Vorschlag zeige, dass man sich in der Verwaltung nicht besonders intensiv mit dem Verein und seinem Tun auseinandergesetzt habe, klagen sie. „Ohne Veranstaltungsbetrieb haben wir keine Finanzierung für den Verein“, sagt Vereinsvorstand Matthias Knöller.

Verein sucht Alternativen

In einer ersten Stellungnahme hatte der Verein tief enttäuscht geschrieben: „Auf den Flächen in der Nachbarschaft werden uns ab 2017, also mit einer Pause von einem Jahr, drei Containerstellplätze angeboten. Ohne infrastrukturelle Erschließung, mit kurzen Kündigungsfristen und mehrfach vorgesehenen kurzfristigen Umsetzungen der Container. Kulturelle und veranstalterische Nutzungen werden nicht erlaubt.“

Frustriert ist man immer noch, aber die 7300 Unterschriften unter eine Petition an die Stadt, Contain’t das Weitermachen zu ermöglichen, wertet man nun als Ansporn. Albani: „Das war echt ein Schlag, und zunächst wollten wir aufhören.“ Aber mittlerweile haben sie neuen Mut gefasst. Knöller: „Unsere Sachen werden wir zwischenlagern und hoffentlich auf einem neuen Gelände aufbauen.“ Den Container, den man gemeinsam mit Flüchtlingen ausgebaut habe und etwa zum Deutschunterricht nutzte, möchte man gerne an eine Unterkunft verschenken. Gespräche führe man derzeit wegen eines neuen Geländes, doch spruchreif sei nichts.

Baurecht erschwert Zwischennutzung

Auch Grünen-Stadtrat Björn Peterhoff hat sich auf die Suche gemacht, fündig geworden ist er nicht. „Ich habe mir bestimmt zehn Flächen angeschaut, aber entweder werden dort Firmen erweitert, Wohnungen geplant oder Flüchtlingsunterkünfte gebaut.“ Platz ist knapp und teuer. „Ich bleibe hartnäckig“, sagt er und hofft auf ein glückliches Ende, nachdem er mit diversen Anträgen im Gemeinderat das Aus nicht verhindern konnte.

Nun regt euch doch nicht so auf, könnte man sagen. War doch eh zeitlich befristet, die ganze Chose. Das stimmt. Die Stadt hat sogar die Nutzung verlängert. Doch blenden wir zurück: 2012 zog der Kern der Künstler vom Nordbahnhof hierher, weil es hieß, die Bahn brauche das Gelände bei den Wagenhallen. Die Ironie der Geschichte ist, dass die Waggons dort immer noch stehen, während der Ableger in Bad Cannstatt nun stirbt. Die Bahn hatte den Künstlern 14 Waggons geschenkt, von denen ein Dutzend verschrottet wurden. Der Erlös diente der Finanzierung des Vereins. Mit Veranstaltungen wollte man weiteres Geld verdienen, um damit die Ateliers zu betreiben. Doch das deutsche Baurecht kennt keine Zwischennutzung.

Mit der Folge, dass sich alle Beteiligten in den unzähligen Verordnungen verirrt haben. „2011 hat der Gemeinderat beschlossen, dass wir her dürfen, im Juli 2015 haben wir die Baufreigabe bekommen“, fasst Mit-Initiator Marco Trotta zusammen, „dazwischen lagen drei Jahre Frustrationserfahrung.“ Naiv sei man gewesen, ergänzt Knöller. Alles richtig machen wollte man, mit der Folge „das wir drei Jahre lang vor allem Bauanträge gestellt haben“. Und gerade mal ein Jahr richtig arbeiten konnte. „Uns haben viele Menschen in der Verwaltung geholfen“, sagt er, „aber letztlich sind die behördlichen Hürden zu hoch.“ Ihr Fazit ist, dass „man fünf Jahre Zeit braucht, um Dinge umzusetzen“. Und dass sie lieber auf ein Areal in Privatbesitz wollen.

Künstler fordern Lotsen

Für Zwischennutzungsmanagement gönnt sich die Stadt eine halbe Stelle, aber die Erfahrung Contain’t zeigt, das reicht nicht aus. Einen Lotsen durch die Untiefen der Behörde hätten sich die Künstler gewünscht. Auch der Architekt Lukas Lendzinski, einst Vorstand des Kulturvereins der Wagenhallen, hält das für sinnvoll. „Wie hält man die Schwelle niedrig“, fragt er, „damit man die Leisen und Stillen nicht entmutigt, und nur die Mackertypen zum Zuge kommen?“ Heißt, jene, die sich erst was nehmen und dann fragen. Dafür brauche es einen Ansprechpartner.

„Was bei Contain’t geschehen ist, werden wir analysieren und dann eine Lehre daraus ziehen“, sagt Professorin Christina Simon-Philipp von der Hochschule für Technik. Die Uni und die Stadt arbeiten zusammen bei dem Projekt „WhatsUP Kreative Stadt gestalten – Subkultur schützen“. Demnächst befragen sie die Macher von Contain’t. Wenn die denn Zeit dafür haben – schließlich müssen sie abreißen.