Christen feiern Foto: Kraufmann

Noch sind es zwei gegensätzliche Christentreffen: der Evangelische Kirchentag und der Christustag. Doch was im Jahr 1969 in Stuttgart auseinanderging, soll 2015 an gleicher Stelle wieder zusammenwachsen. An Fronleichnam feiert die ursprüngliche Gegenveranstaltung letztmals alleine.

Stuttgart - Heiße Diskussionen und eine Bullenhitze. Feuer unterm Dach. So beschreibt Professor Rolf Hille (67) die Atmosphäre in der Messehalle 6 am Killesberg. Es waren historische Tage beim Evangelischen Kirchentag in Stuttgart. Und der junge Theologie-Student Hille war mittendrin. „Damals wurde an drei Tagen debattiert“, erinnert sich der frühere Leiter des Albrecht-Bengel-Hauses in Tübingen, „man ließ Professoren gegeneinander antreten wie Gladiatoren.“ In dem Kampf der Theologen ging es um nicht weniger als die Wahrheit. Um Grundsatzfragen des Glaubens.

Auf der einen Seite der konservative Flügel des Protestantismus. Auf der anderen der liberale. Man schenkte sich nichts. Schließlich ging es um fundamentale Themen. Kurz zusammengefasst: Sind die Menschwerdung Christi oder die Auferstehung nur Legende, wie die liberalen Theologen verkündeten? Oder gilt das, was in der Bibel steht? Für die Konservativen stand die Haltung der Liberalen in krassem Widerspruch zu Schrift und Bekenntnis.

Selbst weniger bibelfeste Menschen merken: Hier geht es um alles oder nichts. So ein Konflikt kann Christen spalten. Und so kam es auch: die pietistischen und evangelikalen Kräfte gingen eigene Wege. „Es wurde ein Anti-Kirchentag gegründet“, erinnert sich Rolf Hille, „viele dachten, das kann’s nicht sein. Lasst uns unser eigenes Angebot machen.“

Was damals noch „Gemeindetag unter dem Wort“ genannt wurde, heißt heute Christustag und wird am Donnerstag (Fronleichnam) in der Mercedes-Benz-Arena und der Scharrarena mit etwa 20 000 Teilnehmern gefeiert. Schon bei der ersten Auflage im Mai 1973 kamen 24 000 Christen kämpferisch in die Dortmunder Westfalenhalle.

An diesem Feiertag soll das Kriegsbeil begraben bleiben. Man will nicht in alten Wunden wühlen. Ganz anders in den frühen 1970ern. Da schrieb der Theologe Gerhard Bergmann in einem Artikel: „Bitte, prüfen Sie selbst: Kann der Besuch des Kirchentages empfohlen werden?“, und riet schließlich von einem Besuch der Veranstaltung ab.

Eine Haltung, die in streng pietistischen Gemeinden Württembergs heute noch zu finden ist. Doch für viele gilt inzwischen das Wort des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau: Versöhnen statt spalten. „Es gibt nur noch das Positive, die Gemeinsamkeiten, ganz ohne Gegenpositionen“, sagt Rolf Hille, der froh über diese Entwicklung ist. Denn wenn „Gemüter in Wallung“ geraten, wie er sagt, entfernen sich die Diskutanten oft von der Sache. So wie zuletzt beim Streit um den Bildungsplan oder das Familienpapier der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD). Hille sieht in den Debatten von damals und heute Parallelen: „Der einzige Unterschied zu 1969 ist, dass es sich thematisch von der Dogmatik zur Ethik verschoben hat.“

Auch Dekan Ralf Albrecht, Vorsitzender des Christustag-Leitungskreises und des Mitveranstalters Lebendige Gemeinde, schlägt versöhnliche Töne an. „Wir wollen lieber darüber sprechen, was unser gemeinsamer Schatz ist.“ Er meint das Erbe des Reformators Martin Luther. Auch Landesbischof Otfried July sucht die Nähe zu den Konservativen. Er sieht den Christustag 2014 als „Chance“ für die Landeskirche, die eine „Kirche der Vielfalt“ sei.

Tatsächlich birgt jedoch schon die Rednerliste Konfliktpotenzial. Denn die Luther-Botschafterin und ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, Margot Käßmann, vertritt im Grunde die theologische Gegenposition der Christustag-Veranstalter. Erst kürzlich hat Käßmann im „Spiegel“ (30/2013) über Maria gesagt: „Aber dass sie im medizinischen Sinne Jungfrau war, das glaube ich nicht . . . Ich denke, dass Josef im biologischen Sinne der Vater Jesu war.“

Das könnte bei manchen Besuchern des Christustages Ohnmachtsanfälle auslösen. „Ich werde nicht in Ohnmacht fallen“, sagt Ralf Albrecht: „Im Gegenteil, ich bin zum Dialog bereit, aber ein Dialog braucht eben klare Positionen. Und die haben wir.“

Die Signale stehen auf Annäherung. Und das muss auch so sein – schließlich soll in einem Jahr gemeinsam gefeiert und gebetet werden. Denn was 1969 in der Messehalle 6 am Killesberg in die Brüche ging, soll dann wieder zusammenwachsen. Im kommenden Jahr wollen der Kirchentag und der Christustag in Stuttgart gemeinsame Sache machen. „Wir sind dann ein Teil des Gesamtprogramms“, sagt Albrecht, „wir feiern dann unter dem Dach des Kirchentags an Fronleichnam in der Porsche-Arena den Christustag – zusammen mit den Teilnehmern des Kirchentags.“