Christoph Niemann, gebürtiger Waiblinger, hat das Google-Doodle vom 21. Juni, dem Tag der Sonnenwende, kreiert. Foto: StN

Ein Vielseitiger: Christoph Niemann hat das Google-Doodle zum Tag der Sommersonnwende kreiert. Auch in der Galerie der Stadt Backnang glänzt er mit famosen Einfällen.

Der Grafikdesigner, Illustrator und Autor Christoph Niemann hat das Google-Doodle zum Tag der Sommersonnenwende kreiert. In der Galerie der Stadt Backnang zeigt er derzeit erstmals in einer Ausstellung einen Querschnitt seines Schaffens.

Christoph Niemann mag es gar nicht, „wenn Leute zu mir sagen: ‚Du bist so begabt.‘“ So als ob eine magische Kraft, ein hilfreicher Dämon, dem Zeichner die Hand führte. In Wahrheit verschenkt der gebürtige Waiblinger (Jahrgang 1970) keine Zeit und vertraut der Kraft der Disziplin. Allerdings mit Erfolg! Vielleicht beflügelt vom Elan Heinz Edelmanns, bei dem er in Stuttgart Grafikdesign studierte, wagte er mit 27 sogleich den Schritt nach New York City, wo er alsbald als Zeichner, Illustrator und Autor reüssierte. Zu seinen Auftraggebern zählen so namhafte Blätter wie „Newsweek“, „The New Yorker“, das „New York Times Magazine“ oder das „Zeit-Magazin“. Nach elf Jahren in New York wechselte der Vielseitige 2008 nach Berlin. 2010 wurde er als Mitglied in die Hall of Fame des Art Directors Club aufgenommen. Jetzt widmet die Galerie der Stadt Backnang seinem facettenreichen Schaffen erstmals einen breit angelegten Überblick.

Zeichnen während des New-York-Marathons

Worauf sich Niemann einlässt, das drängt sich dem Besucher der Ausstellung gleich nach dem Betreten des Turmschulhauses auf. Als Teilnehmer des New-York-Marathons 2011 hält er nicht nur bis zum Ziel durch. Er begleitet das Rennen auch als synchron zeichnender, also rasender Reporter, der was er festhält, per iPhone unverzüglich ins Netz stellt. So verpasst er zwar den Stand mit Bananen, will aber deswegen nicht „die Heulsuse spielen“. „The 1,7 Sketch-Per-Mile-Marathon“ lautet dann der von Niemann selbst gestaltete Titel für „The New Yorker“. Jetzt füllt die 46-teilige Bildreportage mit dem Protagonisten in der Bildmitte eine ganze Wand. Gleich daneben grüßt mit riesenhaft sich nähernden Fäusten Superman, der zu seinem 75. Geburtstag den Titel der „New York Times Review“ zierte.

Niemanns wahre Stärke liegt indes ungeachtet seiner sportlichen Leistung in der Kraft seiner Einfälle. Wenn ein Streifen Zahnpasta wie ein Baby die Zahnbürste umklammert, als wär’s seine Mama, dann ist das genial. Auch die 54. Biennale von Venedig bot Anlass zu einer gezeichneten Reportage. Auf dem Weg zurück ins Hotel fällt Niemann auf, dass der nächtliche Himmel in den engen Gassen verblüffend der Silhouette des Empire State Building gleicht.

Fürs gekachelte Berliner Bad wird Kunstgeschichte lebendig. Verfremdet nach dem Diktat der Fliesen, lassen sich aus farbigen Pixeln bekannte Werke von Tizian, Gerhard Richter, Warhol, Mondrian, Pollock, Stella, Yves Klein und Lucio Fontana lesen. Im Bad für die Kinder bedeckt das schematisierte Streckennetz der New Yorker U-Bahn die Wände bis oben hin. Der berühmte Sprung eines Soldaten über die noch nicht fertiggestellte Berliner Mauer ist in einer Serie dazu als Papiergeflecht realisiert. Und bei „I Lego New York“ werden wesentliche Eigenheiten der Metropole wie etwa Bourbon, Scotch, gut oder schlecht eingeschenktes Bier, besetzte oder freie Taxis von Legosteinen verkörpert.

Italien als Ausstecherle

Ganz Erstaunliches vollbringt der Künstler als „Weltenlenker“. Aus Textilien gebastelte und mit Nadeln gespickte Püppchen lassen an Voodoo-Zauber denken. Seine Allmacht manifestiert sich in der Regel dann, wenn zuvor definierte Bedingungen erfüllt werden. „Für die meisten Wunder musste ich komplizierte Aufgaben bewältigen“, sagt Niemann. 1982 durfte er auf dem Schulweg keine einzige Linie betreten, damit es schneite. John Kerry scheiterte 2004 bei der Präsidentschaftswahl daran, dass Niemann an den geparkten Autos eines bestimmten Straßenabschnitts nicht die erforderlichen fünf Kerry/Edwards-Aufkleber antraf.

Die Schöpfungsgeschichte rekonstruiert Niemann in Gestalt von Teigplätzchen. Nachdem die zuvor kreierte Teigkugel ausgewellt war, zeigt sich: „The World Is Flat“. Italien wird als Ausstecherle kreiert, und die Alpen werden, völlig richtig, durch einen Stups von Süden in die Höhe gehoben. Bleibt nach dem strapaziösen Flug von New York über London nach Berlin mit dem zermürbenden „Kampf um die Armlehnhoheitsrechte“ und der grundsätzlichen Erkenntnis, dass unser Leben physikalischen Gesetzen unterliegt – „Da fällt mir Einstein vom Herzen“ –, die wirklich aufschlussreiche Weltkarte nutzloser Vorurteile („Worldmap of Useless Stereotypes“) zu erwähnen. Einiges weiß man schon: Griechen sind faul, und Europas Mitte ist herzlos. Auch dass Chinesen Hunde essen und Afrika große Läufer hervorbringt, ist kein Geheimnis. Nicht gedacht hätte man, wie groß die USA im Vergleich zu Kanada („Kana-who?“) sind und vor allem nicht, dass Europa ein einziges Knäuel unentwirrbarer Arroganz darstellt.

Informationen

Christoph Niemann: 
1970 in Waiblingen geboren studiert Christoph Niemann an der Stuttgarter Akademie der Bildenden Künste bei dem Illustrator Heinz Edelmann.1997 zieht Niemann nach New York City. Er gestaltet Titelseiten unter anderem für „The New Yorker“, „Atlantic Monthly“ und   „The New York Times Magazine“ 2008 zieht er nach Berlin. 2012 erscheint unter dem  Titel „Abstract City“   Niemanns Blog  für das „New York Times  Magazine“ in Buchform. Aus diesem Band stammt das abgebildete Selbstporträt.

Die Ausstellung:
Backnang, am alten Standort mit neuer Adresse: Petrus-Jacobi-Weg 1. Die Ausstellung ist noch bis zum 10. August zu folgenden Zeiten geöffnet: Di–Fr 17–19, Sa + So 14–19 Uhr. http://galerie-der-stadt-backnang.de/