Experten glauben nicht, dass man mit einer Therapie einen Homosexuellen in einen Heterosexuell verändern kann Foto: dpa

In Tamm gibt es einen christlichen Verein, der Seminare für „Menschen mit geschlechtlichen Identitätsproblemen und sexuellen Fragen“ anbietet. Kritiker werfen ihm vor, Homosexuelle umpolen zu wollen.

Tamm - Richard (Name geändert), Anfang 30, ist Christ und schwul. Er lebt mit seinem Freund zusammen im Kreis Böblingen und steht zu seiner Homosexualität. Doch das war in der Vergangenheit nicht immer so.

Die ersten Anzeichen, dass Richard homosexuell sein könnte, gab es in der Pubertät. Damals habe er einen Mitspieler aus seiner Fußballmannschaft attraktiv und anziehend gefunden, das Thema aber weggewischt: „Ich dachte, das geht vorbei“, sagt der Mann, der streng christlich erzogen wurde. Doch auch später, während des Studiums in Tübingen, fühlte er sich zu einem Kommilitonen hingezogen. Allein, er wollte es nicht wahrhaben. „Ich habe es als Makel gesehen, schwul zu sein“, sagt Richard. Ein Outing sei für ihn in dieser Zeit nicht infrage gekommen. Er hatte Angst, dass seine Eltern einen schwulen Sohn nicht akzeptieren und ihm die finanzielle Unterstützung verwehren würden: „Ich hoffte, dass Gott mich auf den rechten Weg zurückführen wird.“ Zurück in die Heterosexualität.

Er war unglücklich, suchte Hilfe – und fand sie 2010 beim Verein Wüstenstrom in Tamm (Landkreis Ludwigsburg). Ein Bekannter habe ihn darauf aufmerksam gemacht. Nach eigenen Angaben versucht die Organisation Menschen zu helfen, die Fragen zu ihrem Frau- oder Mannsein, ihrer geschlechtlichen Identität und ihrer Sexualität haben. Dafür bietet sie Beratungen, Seminare und Selbsthilfe an.

"Die wollten aus mir mit aller Macht einen Heterosexuellen machen"

Richard war mehr als ein Jahr bei Wüstenstrom. Erst habe er das Gefühl gehabt, dass ihm die Gespräche guttun, sagt er: „Ich dachte, es funktioniert. Aber als ich merkte, dass ich mich von meiner homosexuellen Orientierung nicht lösen kann, ist der Druck nach und nach immer größer geworden. Die wollten mir dann nicht mehr helfen – die wollten aus mir mit aller Macht einen Heterosexuellen machen.“ Der junge Mann wurde depressiv und immer ratloser. „Ich fühlte mich von Gott allein gelassen, mochte mich nicht mehr und wollte meine Gedanken niemandem mehr anvertrauen“, erinnert er sich. Er brach den Kontakt zu Wüstenstrom ab und wandte sich auf Anraten einer Freundin an einen Psychotherapeuten. Das Ergebnis der Sitzungen dort: Richard steht nun zu seiner Homosexualität. Er habe ein erfülltes Leben. Warum er öffentlich spricht? „Um andere zu warnen.“

Axel Schwaigert ist ebenfalls homosexuell und Pfarrer der schwulen- und lesbenfreundlichen Salz-der-Erde-Gemeinde Metropolitan Community Church in Stuttgart. Zu ihm seien mehrere Wüstenstrom-Aussteiger gekommen – „mit Tränen in den Augen“, erzählt er. Aus den Gesprächen mit den Betroffenen habe er den Eindruck gewonnen, dass es für Wüstenstrom nur Heterosexuelle gebe: „Alle anderen sind in deren Augen verwirrt oder bösartig.“ Die Wüstenstrom-Angebote hätten die Betroffenen zu „emotional geschädigten Menschen“ gemacht.

Zuletzt ist Wüstenstrom, hinter dem das „Institut für dialogische und identitätsstiftende Seelsorge und Beratung“ steckt, wiederholt in die Kritik geraten. So wurde die Organisation von Schwulen- und Lesbenverbänden sowie Politikern unterstellt, sogenannte Konversationstherapien oder Umpolungsseminare anzubieten. Auf eine Anfrage unserer Zeitung reagierte Wüstenstrom nicht.

Evangelische Landeskirche hält sich bei Wüstenstrom bedeckt

In einer Stellungnahme vom April 2014 wehrte sich Markus Hoffmann, der den Verein als Sozialarbeiter und Therapeut leitet, massiv gegen die Vorwürfe: „Unseren professionellen und verantwortungsvollen Ansatz als Konversionstherapie und Umpolung zu diffamieren, halten wir für verleumderisch.“ Man versuche „niemals, die sexuelle Anziehung auf direktem Wege zu beeinflussen“. Die Evangelische Landeskirche hält sich bei der Bewertung von Wüstenstrom bedeckt. Es sei „ein spezielles Konzept, das bei Wüstenstrom dahintersteckt“, sagt Sprecher Oliver Hoesch. Bei der Landeskirche gebe es seit 2009 zwar auch Seelsorger, die sich dem Thema Kirche und Homosexualität widmen, aber: „So etwas wie Wüstenstrom bieten wir nicht an.“

Auf ihrer Webseite wirbt die Tammer Organisation mit einer professionellen Beratung, die sich an Menschen mit Lebensfragen richtet, vor allem an solche, die sich eine Veränderung im Bereich der sexuellen Orientierung wünschen oder ihre Sexualität als konflikthaft erleben. Wüstenstrom hält Sexualität für veränderbar, betont jedoch, man begleite „ergebnisoffen“. Richard sieht das anders: „Ich wurde psychisch angegangen und unter Druck gesetzt.“

Zuletzt ist es um Wüstenstrom ruhiger geworden. Hoffmann und Schmidt sind dafür mit der „Bruderschaft des Weges“ in Erscheinung getreten. Die Bruderschaft ist vor rund einem Jahr gegründet worden und wohl aus der Wüstenstrom-Bewegung hervorgegangen. Ihr gehörten bei der Gründung 16 gläubige Christen an, die sich verpflichtet haben, ihre gleichgeschlechtlichen Neigungen nicht auszuleben. Am Stuttgarter Kirchentag durfte die Gruppierung nicht teilnehmen. Die Organisatoren befürchteten Inhalte, die nicht zur Toleranz des Kirchentags passen.