Einer von drei Christie’s-Präsidenten: Dirk Boll – hier als Gast der StN-Reihe „Über Kunst“ Foto: Steffen Schmid

Wo steht der internationale Kunsthandel? Wie entwickelt er sich? Die Stuttgarter Nachrichten stellen unterschiedliche Positionen vor – heute: Christie’s-Spitzenmanager Dirk Boll sieht Gefahren für den deutschen Kunsthandel.

Stuttgart - Dirk Boll (47) zählt zu den international führenden Kunstmarkt-Experten. Von London aus steuert er die Christie’s-Geschäftsbereiche Europa, Mittlerer Osten, Russland und Indien.

Herr Boll, Sie haben Jura studiert, sich dann aber für den Kunsthandel als Berufsfeld entschieden. Was hat man da vor Augen? Den Glanz der großen Auktionswelt?
Sicher hat mich die mathematische Präzision des Auktionsprozesses fasziniert – die Rechtswissenschaften leiten ja zu systematischem Denken an. Als Student habe ich in einem süddeutschen Auktionshaus gejobbt. Dort fand ich zwar nicht Londoner Glamour, wohl aber die große Bandbreite von gehandelten Objekten, die mich fasziniert hat. Man lernt nirgendwo so schnell wie in dieser Branche, weil man so viel sieht!
Mit am Anfang stand für Sie die Verantwortung für einen regionalen Geschäftsbereich. Wie erlebt man eigentlich die Kunden? Muss man nicht immer wieder Wunder-Erwartungen dämpfen oder gar enttäuschen?
Unsere Arbeit ist ja auch – und in den Regionen vor allem – Netzwerkarbeit. Unsere „Kunden“ sind also Meinungsführer, von denen wir lernen, wohin sich das Interesse in der Kunst wendet und was die Sammeltrends der Zukunft sein könnten. Der Austausch mit Kustoren, Sammlern und Kritikern ist hochinteressant und ausgesprochen bedeutsam für unsere Vermittlungsarbeit. Dass man da auch ab und zu auf Wichtigtuer trifft, schmälert das Vergnügen nicht.

Auch der Reutlinger Sammler kauft in London

Haben Sie den „Südwest-Markt“ noch im Auge? Es scheint hier doch sehr ruhig geworden zu sein.
Vielleicht muss man hier zwischen lokal wahrnehmbarer und überregionaler, ja internationaler Aktivität unterscheiden. Auch der Tuttlinger, der Reutlinger, der Durlacher Sammler kauft heute in London oder Berlin. Ich bin nach wie vor gern im Südwesten, auch, weil die Sammler- und Sammlungsdichte hier unvergleichlich ist. Außerdem fühle ich auch nach vielen Jahren noch eine gewisse Verantwortung für das Wohlergehen meines alten Büros hier; ein Umstand, den meine Nachfolgerin Eva Schweizer geschickt zu nutzen weiß.
Als Außenstehender denkt man bei Auktionen oft an die großen Auftritte. Aber wie bei Gericht geht es ja auch bei sehr vielen Auktionen äußerst nüchtern zu. Ist die gerne beschworene Magie vielleicht nur Erfindung?
Man muss sicherlich unterscheiden zwischen den großen Abendauktionen in London oder New York und kleineren Veranstaltungen wie Weinauktionen. Letztere sind sehr geradlinig und verlaufen zügig. Die Abendauktionen jedoch sind wichtige Barometer für den Zustand der Märkte, und am besten versteht man die Tiefe der Nachfrage, wenn man selbst im Saal ist. Deswegen sind diese Veranstaltungen auch ein Treffpunkt der Szene. Für den Glamour sorgen dann eher dekorative Zaungäste.
Über die Jahre haben Sie viele Rollenwechsel hinter sich, sind seit einiger Zeit zugleich als Analyst des Marktes wie in der Lehre als Analyst der Kunstmarktanalysen tätig. Kann man sich dem Kunstmarkt wirklich wissenschaftlich nähern?
Zunächst einmal sind die Kunstmärkte ein ökonomisches System wie viele andere, man kann es sehr gut wissenschaftlich betrachten. Das Problem dabei ist nur, dass es so wenig belastbare Daten gibt, da die Hälfte der Transaktionen privat stattfindet und nur den Teilnehmern bekannt ist. Die daraus entstehende Gerüchteküche macht eine wissenschaftliche Betrachtung umso wichtiger. Je mehr Hintergrund man kennt, desto besser wird diese Untersuchung. Mir ist absolut klar, dass ich meinen Kenntnisgewinn mit einer gewissen Befangenheit bezahle – ich bin ein Auktionsmann durch und durch, und ich liebe Christie’s!