„Bringt meine Schwestern zurück“: Deborah Peter (15), Überlebende einer Boko-Haram-Attacke, bei einer Pressekonferenz. Foto: EPA

Ratlosigkeit, Entsetzen, Wut – mit diesen Worten beschreiben Vertreter der evangelischen Landeskirche in Württemberg ihr Empfinden angesichts der Bedrohung von Christen an vielen Brennpunkten der Welt.

Stuttgart - Deborah Abge, Awa Abge, Hauwa Yirma, Asabe Manu, Mwa Malam Pogu . . . Die folgenden Zeilen ließen sich allein mit den Namen der im Norden Nigerias verschleppten 165 christlichen und 15 muslimischen Mädchen füllen.

Um an ihr Schicksal zu erinnern, hat der in der Evangelischen Landeskirche Württemberg mit Flüchtlingsarbeit betraute Kirchenrat Klaus Rieht seinem Bericht über die „Verfolgungssituationen im Krisengebieten“ die vollständige Namensliste beigefügt. Das verfehlt seine Wirkung nicht. Auf der Tagung der Landessynode ist am Mittwoch Betroffenheit zu spüren. Das Schicksal der von der radikalislamischen Terrorsekte Boko Haram entführten Mädchen ist zudem nur ein Beispiel für die Bedrohung, der sich Christen in vielen Ländern ausgesetzt sehen. Seit 1991 lässt sich das Kirchenparlament einmal jährlich über die Situation von verfolgten Menschen und Christen weltweit berichten. „Oft wurden wir in Württemberg von der Evangelischen Kirche Deutschlands und den anderen Gliedkirchen deshalb belächelt“, sagt Rieht bei der Vorstellung des diesjährigen Berichtes am Mittwoch in Stuttgart. „Nun zeigt sich, wie dringend notwendig dies ist.“ Denn: „Im Irak, in Syrien, in Nigeria und in anderen Ländern schreit die Situation der Verfolgten zum Himmel.“

Irak

Der Siegeszug des Islamischen Staats (IS) stellt für die irakischen Christen im Irak – wie auch in Syrien – eine existenzielle Bedrohung dar, denn seit der Ausrufung eines Kalifats durch den IS gelten Christen dort als „Ungläubige“. Informationen bezieht die Landeskirche unter anderem von dem syrisch-orthodoxen Priester Emmanuel Youkan. Von ihm stammt der Satz: In Mossul, dem biblischen Ninive, läuteten seit der Eroberung der Stadt durch IS-Kämpfer „zum ersten Mal seit 1600 Jahren keine Kirchenglocken mehr“. Zeitgleich zur Tagung der Synode wurde am Mittwoch bekannt, dass IS-Anhänger in Mossul ein Nonnenkloster gesprengt haben. Die Nonnen waren bereits im Juni aus der Stadt geflohen. „Große Sorgen machen uns die christlichen Dürfer, die an der Grenze zwischen Kurdistan und dem südlicheren irakischen Staatsgebiet liegen“, sagt Rieht. Der Kirchenrat gibt allerdings auch folgende Einschätzung des Priesters Emmanuel wieder: Deutschland solle die irakische Christen nicht ermutigen, das Land zu verlassen, denn man könne nicht wollen, „dass im Stammland der Aramäer alle Christen wegziehen und das Christentum dort ausstirbt“.

Syrien

Angesichts des Krieges dort mit bisher mehr als 160 000 Toten und sechseinhalb Millionen Menschen, die innerhalb Syriens auf der Flucht sind, sagt Rieht: „Wir werden weiterhin mit Schreckensnachrichten rechnen müssen.“ Er erinnert an den Mord an dem niederländischen Priester Frans van der Luegt im April dieses Jahres und das ungeklärte Schicksal zweier entführter Bischöfe, aber auch an das Leid der Angehörigen anderer Glaubensgemeinschaften.

Nigeria

„Furchtbare Nachrichten erreichen uns aus Nigeria“, sagt Rieht. Das ungeklärte Schicksal der entführten Mädchen steht dafür exemplarisch. Die häufig als Terrorsekte bezeichnete islamistische Rebellengruppe Boko Haram überfalle immer wieder christliche Dörfer. Seit Ausbruch der Kämpfe seien 270 Kirchen vollständig zerstört worden. Die Zahl der Opfer allein in diesem Jahr beziffert Rieht auf 2000. Insgesamt seien 8000 Tote zu beklagen, 700 000 Nigerianer befänden sich auf der Flucht. Auch nach Nigeria unterhält die Landeskirche persönliche Kontakte.

Sudan

„Der Sudan ist das einzige Land auf der Erde, wo an allen Grenzen gekämpft wird – im Norden, im Süden, im Osten und im Westen“, sagt der Kirchenrat. Die Welt nehme davon allerdings kaum Notiz. Bis 2010 hätten die christlichen Kirchen in dem multiethnischen Staat noch relativ viele Freiheiten besessen. In den vergangenen Jahren würden ihre Aktivitäten jedoch zunehmend eingeschränkt. Schulen und Kinderheime seien geschlossen worden. Der seit etwa 70 Jahren tätigen Bibelgesellschaft sei die Lizenz entzogen worden, berichtet Rieht. Seitdem Präsident al-Baschir 2010 ankündigte, den Sudan als rein islamischen Staat anzusehen, fühlten Christen sich dort zunehmend bedroht. Die Nuba-Berge, aus denen die große Mehrheit der sudanesischen Christen stamme, seien Schauplatz schwerer Kämpfe und Angriffe auf die Zivilbevölkerung.

Zentralafrikanische Republik

„Muslimische Milizen greifen wieder vermehrt christliche Siedlungen auf dem Land und Kirchen in der Hauptstadt Bangui an“, heißt es in dem Bericht der Landeskirche. Unter den Hunderten von Todesopfern seien auch Pfarrer. Terror geht demzufolge in dem Land allerdings auch von Milizen aus, die sich als christlich bezeichnen.

Kenia

Anschläge der aus Somalia einfallenden islamistischen Terrorgruppe al Shabaab forderten immer wieder Todesopfer – auch unter Christen, berichtet Rieht. Im März wurde ein Gottesdienst der Pfingstgemeinde in Mombasa gestürmt. Sechs Menschen starben. Erst vergangene Woche überfielen Al- Shabaab-Terroristen im Norden Kenias einen Bus und töteten alle nichtmuslimischen Insassen.

Zentralasien

Wenig beachtet werden nach Darstellung der Landeskirche die staatlichen Repressionen, denen sich Christen in Aserbaidschan, Kasachstan, Turkmenistan, Tadschikistan, Usbekistan und Kirgisistan ausgesetzt sehen. Für Christen gebe es dort jedoch immer weniger Rechtssicherheit.

Asien

Ähnliche Entwicklungen stellt die württembergische Landeskirche auch in anderen asiatischen Staaten fest: „Wenngleich der Druck auf Christen dort weniger gewalttätig ist, gibt es in vielen Ländern einen besorgniserregenden Trend zur Einschränkung der Religionsfreiheit“, sagt Rieht und zählt wieder Namen auf – diesmal die von Staaten: Malaysia, Brunei, Indonesien, Nepal, Sri Lanka, Myanmar, Nordkorea, China, Afghanistan, Pakistan.