Weibing Shi-Schienle schätzt die geistige Freiheit. Foto: Leonie Schüler

Die Chinsein Weibing Shi-Schienle lebt seit mehr als 20 Jahren in Deutschland. Ihre Erfahrungen hat sie nun in einem Buch verarbeitet, das im März im First Minute Verlag erschienen ist.

Bergheim - Weibing Shi-Schienle bezeichnet sich selbst als ein „Beispiel für gelungene Integration in Stuttgart“. Seit mehr als 20 Jahren lebt die Chinesin im Schwäbischen – und fühlt sich pudelwohl. Ihre Abenteuerlust war es, die sie einst von Shanghai nach Stuttgart geführt hat. „Anfang der 80er Jahre begann in China die Öffnungspolitik. Damals kamen Bücher und Filme aus dem Westen zu uns und wir haben festgestellt, dass es eine Welt außerhalb unserer Welt gibt, die interessant ist, sich anzuschauen“, erzählt Shi-Schienle. Ein Visum für die Reise zu bekommen, sei damals aber noch sehr schwierig gewesen, nur Geschäftsleute oder Studenten hätten relativ einfach eine Genehmigung erhalten.

„Das ist ein bisschen wie Selbstzensur“

So entschied sich Weibing Shi-Schienle dafür, in Deutschland ihr Germanistikstudium zu beenden. „Und dann bin ich hier hängen geblieben“, sagt sie und lacht. „Die deutsche Mentalität gefällt mir.“ Als Studentin hierzulande schätzte sie, ihre Meinung frei heraus sagen zu dürfen, während in China nur dem Professor nachgeplappert werden musste. „Hier kann man machen und sagen, was man möchte. In China ist man viel vorsichtiger mit Äußerungen, das ist ein bisschen wie Selbstzensur.“

Froh ist die Chinesin, hier zwei Kinder haben zu können. Ihre beiden Töchter sind elf und 17 Jahre alt. „Ein Einzelkind fände ich zu wenig.“ Trotzdem hat Shi-Schienle Verständnis für die chinesische Ein-Kind-Politik. Denn das Land sei einfach übervoll. „Es ist so, als wäre jeden Tag Schlussverkauf.“ Die Enge verursache einige Konflikte, Müllberge und auch logistische Probleme. „Das Unverständnis in Deutschland kommt daher, dass man hier nicht weiß, was es heißt, zu viele Menschen zu haben“, sagt die Bergheimerin.

„Eine Käsetheke macht mich heute noch platt“

Obwohl sich Weibing Shi-Schienle von Anfang an in ihrer Wahlheimat wohlfühlte, musste sie sich doch auf einige Dinge neu einstellen. Zum einen natürlich auf die deutsche Küche. „Sahne konnte ich erst nicht essen. Und eine Käsetheke macht mich auch heute noch platt“, berichtet sie. Doch inzwischen sei ihre eigene Kochkunst eine Mischung aus Chinesisch, Italienisch und Schwäbisch – inklusive eigenhändigem Spätzleschaben. Wenn sie kulinarisches Heimweh bekomme, gebe es ein paar gute chinesische Restaurants in der Stadtmitte, die noch typische Gerichte anbieten. Denn viele Chinalokale hätten sich stark dem deutschen Geschmack angepasst: „Sie kochen mit zu viel Soße, das ist bei uns eigentlich nicht typisch. Komischerweise sind hier Frühlingsrollen und süß-saure Gerichte sehr beliebt – in China gar nicht so.“ An der Volkshochschule gab Shi-Schienle selbst Kochkurse.

Eine große Herausforderung sei in den ersten zwei, drei Jahren auch die Sprache gewesen. „Ich habe nichts verstanden, aber immer freundlich genickt“, erinnert sie sich. „Das ist die chinesische Höflichkeit.“ Diesen Mentalitätsunterschied habe sie erst erlernen müssen. Deutsche würden frei heraus sagen, was sie störe, während Chinesen ihre eigenen Bedürfnisse meist hintanstellen würden. „Ich musste lernen, wie ich die Balance finden kann und einerseits meine Höflichkeit bewahre und hier trotzdem nicht untergehe“, sagt die Chinesin, die inzwischen als Versicherungskauffrau und Übersetzerin arbeitet.

Die Erfahrungen in einem Buch verarbeitet

All ihre Erfahrungen hat Weibing Shi-Schienle in einem Buch verarbeitet, das im März im First Minute Verlag erschienen ist. In dem Roman geht es um eine verbotene Liebe zwischen einer chinesischen Studentin und einem deutschen Dozenten an der Universität Shanghai. „Für deutsche Leser ist das interessant, weil ich nicht aus einer rein politischen Perspektive berichte, sondern aus einer alltäglichen“, sagt sie. Für sie selbst sei es spannend, bei Lesungen von den Zuhörern zu erfahren, welches Bild sie von der chinesischen Kultur haben. Ihr Eindruck sei, dass man hierzulande recht wenig vom Alltag in China wisse.

Anfeindungen hat Weibing Shi-Schienle in all den Jahren in Stuttgart nicht erfahren. „Wenn jemand pampig zu mir ist, denke ich, dass das ein Meinungsunterschied ist. Ich sehe das nicht als fremdenfeindlich.“ Wenn Kulturen aufeinanderträfen, gäbe es immer Reibungen und Konflikte. Trotzdem ist sie sich sicher: „Vielfalt sollte nicht als Problem, sondern als Erweiterung und Verschönerung gesehen werden.“