Foto: Monika Rittershaus

An der Oper Zürich hat Christof Loy Georg Friedrich Händels „Alcina“ inszeniert – mit einer glänzenden Cecilia Bartoli in der Titelpartie.

An der Oper Zürich hat Christof Loy Georg Friedrich Händels „Alcina“ inszeniert – mit einer glänzenden Cecilia Bartoli in der Titelpartie.

Zürich - „Ah!mio cor!“, singt Alcina, „Ah, mein Herz! Du bist betrogen!“ Und: „Götter, warum?“ Nach ihrer nächsten Arie wird die Zauberin ihren Zauberstab in die Ecke werfen, denn der Zauber ist aus, und es hat ein Ende mit der Kunst. Alcina hat die Kontrolle verloren, erstmals hat sie ein ehrliches, ganz großes Gefühl überwältigt, und als der Geliebte sie verlässt, geht ihr Reich zugrunde.

„Ah! Mio cor!“, singt Cecilia Bartoli, und so wie sie die beiden Teile dieser Arie singt – erst todtraurig, dann voller wilder Wut –, packt sie die ganze Oper in zehn Minuten. Mit Präzision und Hingabe tut sie dies, und beide Qualitäten prägen den gesamten Abend. Mit Präzision und Hingabe begleiten Musiker der historisch informierten Fraktion des Zürcher Opernorchesters als Ensemble La Scintilla die Starsopranistin (und drosseln dabei um ihretwillen immer wieder die Lautstärke). Präzision und Hingabe prägen den feinen Zugriff des Dirigenten Giovanni Antonini, der – ein gelernter Flötist – die Aufführung bei einer Arie auch einmal mit einer Flöte im Mund leitet. Viel Temperament, viel Ausdruck und viele delikate Farben kommen aus dem hoch gefahrenen Orchestergraben. Antonini dirigiert einen lebendigen Händel für Feinschmecker. Welch beneidenswerten Luxus sich die Zürcher Oper mit diesem Ensemble leistet!

Zugegeben, das mit der ganzen Oper in einer Arie trifft hier auch dank Cecilia Bartolis empathischen Koloraturperlenketten zwar zu, aber es wäre schade gewesen, hätte man den Rest der Oper nicht auch sehen, hören und genießen können. Dass dies bereits die dritte „Alcina“-Inszenierung des Regisseurs Christof Loy ist, merkt man nämlich höchstens an der auch in Hamburg schon bebilderten Grundidee eines Spiels mit Gegensätzen: Hier Theater, Kunst, Künstlichkeit und Alcinas Zauberreich, dort das wahre (Alltags-)Leben, das auf der Bühne natürlich nie wirklich wahr sein kann, aber immerhin so tut, indem die Sänger in Alltagskleidern auftreten. Zunehmend entledigen sich die Spielenden ihrer barocken Kostüme und Masken, bis auch Cecilia Bartoli nur noch im schwarzen Unterröckchen singt.

Auch Johannes Leiackers Bühne, die im ersten Akt noch ein gemaltes Kulissentheater mit Tänzern in Perücken auf der oberen Ebene vom kellerähnlichen Spielort darunter abtrennte, ist im dritten Akt nur noch eine Ebene – und ein Trümmerhaufen.

Das Spiel ist aus. Vorsichtig tapsen die Paare durch die Scherben, unsicher, ob sich etwas, das entzwei ging, nicht vielleicht doch wieder zusammenkitten ließe. Zum Beispiel Ruggiero und Bradamante, also der Mann, den hier eine Frau spielt, und die Frau, die eine Frau spielt, die sich als Mann verkleidet hat. Beide Sängerinnen – Malena Ernmann als Ruggiero, Varduhi Abrahamyan als Bradamante – gestalten intensiv, kunstvoll und müssen sich keineswegs vor ihrer berühmten Kollegin verstecken. Auch Julia Fuchs als Morgana, Fabio Trümpy als Oronte und Erik Anstine als Melisso sind sehr gut besetzt. Man merkt der Inszenierung ein intensives Nachdenken über die Figuren und ihre Beziehungen an. Und manchmal erfreut Loy mit hübscher Ironie – wie etwa bei den Männlichkeitsriten, mit denen sechs Tänzer (Choreografie: Thomas Wilhelm) die Rückkehr Ruggieros in die Geschlechterrollenklischees der Realität bebildern.

Am Ende reisen alle ab. Die Zauberin ist aber in den Boden versunken. Die Behauptung, die sie im ersten Akt mit gewagten Pianissimo-Tönen in den Raum stellte, dass sie nämlich trotz all ihrer Gefühle dieselbe geblieben sei („Si, son quella“), wird, wie schon das Brechen der Stimme in der Höhe vermuten ließ, endgültig als falsch entlarvt. Die alte Frau mit Flügeln, die im ersten Akt als resignierender Liebesgott einer Holztruhe entstieg und im zweiten als stumme Figur das barocke Thema der Vanitas, der Vergänglichkeit, ins Spiel brachte, kehrt, weil ihr eh nichts zu tun bleibt, zurück in ihr Möbelstück und klappt den Deckel zu.

Dann aber steigt hinten eine Figur aus der Unterbühne: Die Diva ist’s, jetzt wieder kostümiert. Sie lacht. Die Kunst, das Theater und der Zauber können nicht sterben. Sie leben ewig, und Cecilia Bartoli wird ebenfalls weiter singen. Was für ein Glück!

www.opernhaus.ch