Will sich das Wahlprogramm nicht selbst ausdenken: CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf Foto: dpa

Die Landtagswahl naht, und wofür steht die CDU? Ganz genau wird man das erst Ende November wissen. Bis dahin will die Partei ihre Argumente zunächst breit in Werkstätten diskutieren. Das ist modern, birgt aber auch Risiken.

Stuttgart - Stuttgart - Um Alleingänge zu rechtfertigen, hat Erwin Teufel gern den Philosophen Raymond Aron zitiert: „Demokratie ist kontrollierte Führung.“ Von breiten Diskussionen hielt der frühere Ministerpräsident und CDU-Landeschef nicht viel, lange Entscheidungsprozesse bespöttelte er auch gern mit einem Spruch des französischen Diplomaten Talleyrand: „Da geht mein Volk. Ich muss ihm nach. Ich bin sein Führer!“

Das ist gerade mal zehn Jahre her. Seither hat die Südwest-CDU nicht nur die Macht, sondern auch ihren Hang zur Basta-Politik verloren: Die Partei wagt immer mehr direkte Demokratie. Bei Personalentscheidungen durften die 69 000 Mitglieder schon öfter die Weichen stellen, zuletzt bei der Kür des Spitzenkandidaten. In einem zweiten Schritt soll die Basis nun aber auch die Inhalte des Wahlprogramms festlegen. Das hat jetzt der Vorstand beschlossen.

Die Diskussion läuft bis zur Sommerpause in vier sogenannten Programmwerkstätten. Den Auftakt bildet am 9. Mai in Tuttlingen eine Konferenz zur Bildungspolitik. Am 26. Juni folgt die innere Sicherheit, am 11. Juli geht es um Nachhaltigkeit, und am 20. Juli ist „Politik für die Mitte der Gesellschaft“ aufgerufen.

Auf den Kongressen kommt zwar auch der Spitzenkandidat zu Wort, und externe Referenten steuern ebenfalls Argumente bei. Doch die eigentliche Meinungsbildung soll in kleinen Foren stattfinden. Das Ganze mündet dann im November in einen großen Konvent, der sich an einer Synthese versuchen will. Den formalen Schlusspunkt setzt schließlich am 21. und 22. November ein Parteitag, der nicht nur den Landesvorstand neu wählt, sondern auch das Wahlprogramm für 2016 verabschiedet.

Erstaunlich dabei ist, dass die CDU eine solche Diskussionskultur, die bei den Grünen oft selbstquälerische Züge annimmt, ohne Widerstreben übernimmt. Offenbar lernen die Christdemokraten vom politischen Gegner. „Ich höre niemanden in der Partei, der das kritisiert“, sagt Wolf unserer Zeitung und räumt ein, dass die Methode sich „abhebt von dem, was bisher war“. Dies habe sich in den letzten Jahren so entwickelt, denn schon vor der Bundestagswahl 2013 habe es Kritik wegen mangelnder Mitwirkungsrechte gegeben. Die Oppositionsrolle der CDU im Land habe dies noch befördert.

Projekte wie „Frauen im Fokus“ oder „Zukunftswerkstatt“ richteten sich bereits gezielt an die Basis. Parteichef Thomas Strobl hat damit auch auf Bundesebene Erfahrung, denn er leitet eine der drei Kommissionen zur Weiterentwicklung der Partei. Und Wolf sagt: „Ich war sechs Jahre lang Bürgermeister, solche Prozesse sind mir nicht neu.“

Ein Wahlprogramm entstand auf diese Art aber noch nie. „Das schrieb doch früher die Grundsatzabteilung im Staatsministerium“, spottet Christian Bäumler, Landeschef der CDU-Sozialausschüsse. Nun also sollen viele Hundert Autoren mitschreiben. „Mehr Expertise“ erwartet sich Wolf davon. Denn sehr häufig verbessere sich eine Position durch Nachdenken und Diskutieren.

Doch was, wenn die Argumente dann nicht mehr ins Wahlkampfkonzept passen – weil sie etwa zu nah am politischen Gegner sind? Und was, wenn sich die persönliche Haltung des Spitzenkandidaten partout nicht mit der Mehrheitsmeinung deckt?

Dieser Fall könnte zum Beispiel beim Thema Grundschulempfehlung eintreten. Wolf lehnt es ab, den grün-roten Beschluss wieder aufzuheben – im Gegensatz zu den beiden württembergischen CDU-Bezirken. Auch die Junge Union will das freie Elternwahlrecht wieder einschränken. Mauert das den Spitzenkandidaten nicht ein? „Bei solchen Prozessen hat man nur eine Chance auf Erfolg, wenn man akzeptiert, dass es unterschiedliche Meinungen gibt und dass die Mehrheit eventuell eine andere Meinung hat als man selbst“, sagt Wolf dazu.

Gerade der Widerspruch sei ein wichtiger Testlauf für die Qualität der Argumente, argumentiert auch Sozialpolitiker Bäumler: „Wenn unsere Spitzenleute es nicht schaffen, die Basis von ihrer Haltung zu überzeugen, wie soll ihnen das dann gegenüber dem Wähler gelingen?“ Die Programmwerkstätten hält er auch deshalb für zwingend, weil die Stuttgarter Politikzirkel „gern um sich selbst kreisen“. Soll heißen: Die Erdung durch die Basis wird dem Regierungsprogramm guttun. Aber beherrschen letztlich nicht wieder die üblichen Verdächtigen die Bühne? Führen nicht auch in den Werkstätten die Amts- und Mandatsträger das große Wort? „Meine Erfahrung ist eine andere“, sagt Wolf. Er will eine hohe Bereitschaft zur Mitwirkung festgestellt haben. Ein Indiz dafür sieht er in den Antworten auf einen Brief, den er an alle 69 000 Mitglieder geschrieben und in dem er um Vorschläge für den Wahlkampf gebeten hat. Wolf: „Über tausend haben geantwortet, das ist viel.“

Auch Nikolas Löbel, Landeschef der Jungen Union, findet die Programmwerkstätten richtig: „Es tut der CDU gut, wenn sie ihre Ideen so breit wie möglich diskutiert.“ Er erwartet sich von dem Prozess ein Stimmungsbild, aber auch einen Wettbewerb der Ideen. Erst am Ende werde man allerdings sehen, ob sich die Basis tatsächlich durchsetzt oder ob nicht doch taktische Rücksicht genommen wird. Um dies zu vermeiden, schlägt Löbel vor, das Verfahren durch eine formlose Abstimmung zu ergänzen – etwa mit einer Online-Mitgliederumfrage. Hier bremst Wolf: „Ein Schritt nach dem anderen.“