Dramatische Pleite für CDU – aber Guido Wolf gibt sich kämpferisch. Foto: dpa

Sie haben gekämpft, gezittert, gehofft – und doch ist die CDU am Sonntag auf einen historischen Tiefpunkt abgestürzt. Spitzenkandidat Guido Wolf gibt sich aber tapfer und will trotzdem regieren.

Stuttgart - So ändern sich die Zeiten. Jahrzehntelang war es an Abenden der Landtagswahl fast schon ein Ritual, dass bei der CDU Punkt 18 Uhr – wenn die Prognose über die Fernsehschirme flimmert – lauter Jubel losbricht, die Parteileute die Arme in die Höhe recken und die Gläser laut klingen. Vor fünf Jahren brach diese Tradition zusammen, als Ministerpräsident Stefan Mappus die Wahl verlor. Allein, viele glaubten, die Regierungsübernahme durch Grün-Rot sei ein einmaliger Betriebsunfall.

Nun, am Abend des 13. März 2016, wird deutlich, dass die CDU offenbar einen Dauerschaden hat. Der schwarze Balken auf den Bildschirmen will einfach nicht weiterklettern und verharrt wie betoniert bei 27 Prozent. „Das darf nicht wahr sein“, sagt ein Jung-Unionist und legt den orangefarbenen CDU-Schal ab. Zwei Meter weiter liegen die Guido-Plakate bereit, die sie im Wahlkampf bei jeder Gelegenheit gezeigt haben und an diesem Wahlabend so gerne wieder geschwungen hätten. Fehlanzeige.

Lesen Sie hier: Der Tag nach der Landtagswahl im Liveticker.

Es ist das eingetreten, was sich seit Tagen, seit Wochen abgezeichnet hatte. Die CDU ist nicht mehr stärkste Kraft im Landtag, sie erlebt in ihrer einstigen Hochburg Baden-Württemberg einen Erdrutsch. Das einstige Ziel von Spitzenkandidat Guido Wolf, „40 Prozent plus x“, wirkt wie eine Szene aus einem schlechten Science-Fiction-Roman. Aber woran lag’s? Am fehlenden Konzept? An Übervater Kretschmann, gegen den kein Kraut gewachsen schien? Am Spitzenkandidaten Guido Wolf, der für viele Wähler und CDU-Mitglieder zu farblos und unwählbar war?

Die CDU will an die Macht zurück

Bis zuletzt hatten sie sich Mut gemacht, hatten sich jede noch so desaströse Umfrage irgendwie schöngeredet. Alles vergeblich. Die Landtagsfraktion von bisher 60 Abgeordneten wird praktisch um ein Drittel eingedampft. Auch der Landtagspräsident, ein klassischer schwarzer Prestigeposten, ist weg. Er geht an die Grünen als stärkste Fraktion. Und der AfD steht neben der CDU ein Vize zu. Tiefschläge über Tiefschläge. So nagen sie im Neuen Schloss, wo alle Parteien Freunde und Gäste um sich versammeln, missmutig an ihren Laugenbrötchen.

Wie es weitergehen soll? Keiner aus dem Kreis der Krawattenträger hat in diesem Moment eine schlüssige Antwort. „Wir müssen das Ergebnis in Ruhe analysieren“, sagt Ex-Minister Wolfgang Reinhart. Es dürfe „jetzt nichts übers Knie gebrochen“ werden. Soll heißen: Wer jetzt eine Debatte um den Spitzenkandidaten lostritt, schadet der Partei noch mehr. „Wir haben diese Wahl doch zu 80 Prozent an der bundespolitischen Zerrissenheit in der Flüchtlingsfrage verloren“, glaubt Reinhart, der wenigstens sein Direktmandat verteidigt. Christian Bäumler, der Landeschef des Sozialflügels, warnt vor einem Scherbengericht. „Wir dürfen jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielen, sondern sollten alles tun, an einer Regierung beteiligt zu sein.“

Die CDU will an die Macht zurück. Aber zu welchem Preis? In einer Deutschland-Koalition mit SPD und FDP? Oder als Juniorpartner der Grünen? Noch vor wenigen Tagen hatte Wolf ein solches Bündnis unter Regie Kretschmanns ausgeschlossen. Das ist jetzt kein Thema mehr. Als Wolf um 18.50 Uhr die Räume der CDU betritt, gibt’s freundlichen Applaus.

CDU-Wahlkampfmanager Frei frohlockt

Schon kurz zuvor hatte Wahlkampfmanager Thorsten Frei frohlockt: „Wir sind angetreten mit dem Ziel, einen Politikwechsel für Baden-Württemberg zu erreichen.“ Das sei durch den Sturz der Kretschmann-Regierung gelungen. Man habe es aber nicht geschafft, klassische landespolitische Themen „in den Vordergrund zu rücken“, weil alles durch die Flüchtlingsproblematik überlagert gewesen sei. Im Übrigen sei Wolf „der richtige Spitzenkandidat“ gewesen, beteuert Frei. Die Botschaft: Niemand soll jetzt am Vormann zweifeln. Der dankt den Parteifreunden für ihren Einsatz, spricht über „das Stahlbad dieses Wahlkampfs“ und meint stolz: „Grün-Rot ist abgewählt.“ Jetzt jubeln sie, als ob man die absolute Mehrheit geholt hätte.

Weit gefehlt. Dennoch gibt Wolf trotzig den Kämpfer. „Jetzt gilt es Verantwortung zu übernehmen für unser Land.“ Er wolle Gespräche mit allen demokratischen Parteien über eine Regierungsbildung führen. Kein Zweifel: Da will jemand Ministerpräsident einer Deutschland-Koalition werden, auch wenn er nicht der Wahlsieger ist. Die FDP dürfte er dafür leicht gewinnen, zumal deren Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke noch am Wahlabend seine Absage an eine Ampel mit Grünen und SPD erneuert. Aber macht die gebeutelte SPD mit? Keiner weiß es. Und siehe da: Auch ein grün-schwarzes Bündnis schließt Wolf nicht mehr aus. Das Problem: Dort wäre die CDU nur Juniorpartner. Ungewohnt.

Ein Rücktritt lehnt Wolf ab

Ob Wolf dann Vize-Regierungschef unter Kretschmann werden will? Da gibt es innerhalb der Partei große Zweifel. „Es bleibt dabei, dass die CDU Regierungsverantwortung übernehmen will“, sagt er an diesem Abend immer wieder in die Mikrofone. Aber lässt man ihn auch? Noch am Nachmittag hatten sie sich in den Sitzungen der CDU-Parteiführung große Geschlossenheit versprochen. Jetzt, mit Blick auf die Zahlen des Wahldebakels, gibt es auch Stimmen, die seine Demission fordern. „Wer zwölf Prozent zum Ergebnis 2011 verliert, muss gehen“, sagt ein führender Vertreter der Fraktion. „Der Verlierer dieser Wahl kann doch nicht die Fraktion führen, als sei nichts geschehen“, sagt ein anderer. Aber genau das will Wolf. Morgen stellt sich der 54-Jährige zur Wiederwahl.

Einen Rücktritt lehnt er ab. „Es geht darum, jetzt Ruhe zu bewahren“, meint Wolf. Immerhin sei er von den Mitgliedern zum Spitzenkandidaten gewählt worden, man habe gemeinsam Wahlkampf geführt, da erwarte er jetzt „keinen Machtkampf“. Aber hatte Parteichef Thomas Strobl, der einst die Mitgliederbefragung gegen Wolf klar verloren hatte, nicht kurz zuvor ziemlich unverblümt gesagt: „Es gibt nichts schönzureden: Das ist ein schlechtes Ergebnis“? So taumelt die CDU in die Nacht und in eine ungewisse Zukunft. Noch am Abend wird das Parteipräsidium zusammengerufen. „Das ist jetzt eine echte Krisensitzung“, heißt es. Es dürfte nicht die letzte sein.