Gehört zu den besten Songwritern seiner Generation: Mark Oliver Everett (51). Foto: Pias/Warner

Der eine tunkt seine Lebensbilanz in zart-ironischen Kammerpop, der andere färbt Erinnerungen melancholisch ein. Mark Oliver Everett und Damon Albarn vertonen auf ihren neuen Platten kunstvoll Innenansichten ihres Lebens.

Der eine tunkt seine Lebensbilanz in zart-ironischen Kammerpop, der andere färbt Erinnerungen melancholisch ein. Mark Oliver Everett und Damon Albarn vertonen auf ihren neuen Platten kunstvoll Innenansichten ihres Lebens.

Stuttgart - Beide sind ziemlich schlaue Songwriter. Seit den 1990er Jahren ist auf die Unberechenbarkeit ihrer kunstvollen Popentwürfe Verlass – und auch auf ihre hartnäckige Brummigkeit, mit der sie einen bei Interviews zur Verzweiflung bringen können. Sonst aber haben der US-Amerikaner Mark Oliver Everett (Eels) und der Brite Damon Albarn (Blur, Gorillaz) wenig gemeinsam.

Bis jetzt. Fast zeitgleich erscheinen Everetts elftes Eels-Album und Damon Albarns erstes Soloalbum. Die Platten versammeln nicht nur ausgesucht hochwertigen Pop. Sie sind auch beide von einer Lust an einer intimen Rückschau geprägt. Everett und Albarn ziehen hochkonzentriert Bilanz, machen ihre eigene Persönlichkeit zum Thema der Alben, die sie spektakulär unspektakulär in Szene setzen. Und das mit einer Innigkeit und Empfindlichkeit, wie man sie im Pop nur ganz selten vorgeführt bekommt.

Statt Rocker-Posen jetzt die sanfte Version

Mark Oliver Everett hatte man zuletzt noch ganz anders erlebt. Im Sommer 2013 zog er fiepend, dröhnend und scheppernd durch deutsche Konzerthallen. Bei dem großartigen Konzert im Stuttgarter Theaterhaus verkleidete er sich mit Adidas-Trainingsanzug, Sonnenbrille und Rauschebart – und versteckte seine Empfindlichkeit hinter der Grobheit des Garagenrock.

Das ironische Spiel mit Rock’n’Roll-Posen, das die Liveshow von Everetts Band, den Eels, bestimmte, sucht man auf „The Cautionary Tales Of Mark Oliver Everett“ nun vergeblich. Der Mann, der sich E nennt, inszeniert sich als eine sanfte Version seiner selbst, unterteilt das Album mit Stücken, die „Where I’m At“, „Where I’m From“ und „Where I’m Going“ heißen (wo ich bin, wo ich herkomme, wo ich hingehe), bringt sein Leben also in Ordnung.

Mark Oliver Everett hat immer wieder seine Depressionen vertont, betörend-schöne, zum Einsiedlerblues neigende Lieder geschrieben, die er selbst schon immer optimistisch fand – und die es jetzt tatsächlich sind. Diese meistens einen zart-intimen Ton wählende und von Akustikgitarre, E-Klavier und dezent arrangierten Streicher, Flöten oder Xylofonen bestimmte Kammerpop-Platte könnte auch als Antwort auf Paul Ankas „My Way“ durchgehen: E bereut Einiges („Agatha Chang“, „Series Of Misunderstanding“, „Mistakes Of My Youth”).

Überzeugt vom möglichen Happy-End

Er hadert mit seiner Neigung, den autistischen Untergangspropheten spielen zu wollen („Dead Reckoning“, „Answers“). Er singt Lieder fürs Poesiealbum („Kindred Spirit“, „A Swallow In The Sun“), ist voller guter Vorsätze und überzeugt davon, dass ein Happy End möglich ist – auch wenn ihm die Beweise dafür fehlten, wie er im filigran über Folkpop schwebenden „Parallels“ bekennt.

Und wunderbar, wie er in „Gentleman’s Choice“ eigene Unzulänglichkeiten besingt, davon erzählt, dass er früher davon geträumt habe, ein ehrenwerter Mann zu werden, der geachtet und respektiert wird, bis ihn die traurige Wirklichkeit eingeholt hat: „ The life that I’ve led, it’s better unsaid / The world has no use for my kind“ (Das Leben, das ich geführt habe, ist nicht weiter erwähnenswert, einen wie mich braucht die Welt nicht).

Diese Sorte Taugenichts-Blues kannte man von Everett bereits. Seine Lieder klangen immer schon wie schwermütige Tagebucheinträge. Und auch in seiner Autobiografie „Glückstage in der Hölle: Wie die Musik mein Leben rettete“ gab er viel von sich preis.

Damon Albarn dagegen kannte man bisher eher als einen, der sich hinter seinen Songs versteckt, als einen, der sich bei den Gorillaz sogar als Comicfigur verkleidet. Doch nun macht er sich nach Everetts Vorbild auf dem Album „Everyday Robots“ selbst zum Gegenstand seiner Musik.

Stimmungsvolles, musikalisches Fotoalbum

Am deutlichsten in dem Stück „Hollow Ponds“, das getragen von einer sachte gezupften Konzertgitarre herrlich sentimental Erinnerungsbilder vertont, sich als eine Art stimmungsvolles, musikalisches Fotoalbum erweist. Im Text erinnert sich Albarn an das Gewimmel an den Hollow Ponds im Jahr 1976, als London von dieser Hitzewelle heimgesucht wird; an die Fillebrook Road in Leytonstone, die einst Zuhause war und inzwischen von der Autobahn zerschnitten wird.

In den musikalischen Schnappschüssen begegnet man Damon Albarn als Neunjährigem am Schwarzen Meer, als Schüler, der sich in Aldham - einem tristen, sehr englischen Kaff - wie ein Ausgestoßener fühlt. Und er kramt in dem Song auch ein Foto aus dem Jahr 1993 heraus, das ein „Modern Life“-Graffiti zeigt, und daran erinnert, dass Albarn mit Blur in jenem Jahr dank des Albums „Modern Life Is Rubish“ den Durchbruch schaffte.

Nie zuvor hat sich Albarn selbst so sehr ausgestellt wie in den Songs seines Solodebüts. Nicht nur auf dem Cover (das wie ein Zitat des Tears-For-Fears-Albums „The Hurting“ wirkt) spielt er den introvertierten Grübler, sondern auch in den Liedern. Er erzählt von seiner Jugend, stellt diesen romantisch-nostalgisch gefärbten Erinnerungen die Entfremdung und Vereinsamung in technologisch aufgerüsteten Zeiten gegenüber – im Titelsong „Everyday Robots“ genauso wie in „The Selfish Giant“.

Fesselndes Meisterwerk der Kontemplation

Doch obwohl Albarn auf diesem Album wie ein Eigenbrötler wirkt, wäre die Platte nicht so gut, wie sie ist, wenn Albarn nicht mit dem Produzenten Richard Russell gemeinsame Sache gemacht hätte. Russell erzeugt das atmosphärische Knistern, die quietschenden, knarzenden, raschelnden Beats und Loops, die sich unter die Klavier- und Gitarrenharmonien, die dumpfen Basslinien legen; die Soundschnipsel, die zu musikalischen Entsprechungen von Albarns erzählerischen Schnappschüsse werden.

„Everyday Robots“ verdichtet Britpop, Minimal Music, Folk, Hip-Hop, Electronica, Weltmusik und Soul zu einem betörenden Meisterwerk der Kontemplation.

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