Sergej Karjakin (l.) hat gegen den Titelverteidiger Magnus Carlsen verloren. Foto: dpa

Mit einem spektakulären Schlussakkord in der letzten Partie der Verlängerung hat sich Titelverteidiger Magnus Carlsen den Sieg bei der Schach-WM gesichert. Doch der Weltmeister hat Federn gelassen, meint Norbert Wallet.

Stuttgart - Die Revolution hat nicht stattgefunden. Magnus Carlsen hat seinen Weltmeistertitel im Schach verteidigt - und das mit einem spektakulären Schlussakkord in der entscheidenden letzten Partie der Verlängerung. Für den Schachsport ist das keine schlechte Nachricht. Der smarte Norweger ist ein cleverer Verkäufer seines Sports. Er macht in TV-Talkshows und im Smalltalk mit den Stars aus Politik und Business gleichermaßen gute Figur. Da hätte sich der eher schüchterne Russe Sergej Karjakin doch eher schwer getan. Überhaupt ist der Schachsport an sich der größte Gewinner dieser Weltmeisterschaft. Die Veranstaltung war nicht nur in New York ein Erfolg, wo an manchen Spieltagen die Schachfans um Karten Schlange standen. Die WM sorgte auch im Internet aufgrund einer attraktiven Präsentation für immenses Interesse. Das Profi-Schach hat durchaus gute Perspektiven.

Sportlich hatte diese Weltmeisterschaft nicht das Format der alten Titanenkämpfe zwischen Kasparow und Karpow oder Fischer und Spasski. Sie brachte auch keine atemberaubende Kombinationen hervor, die noch in Jahrzehnten in den Schachbüchern stehen würden. Stattdessen viele verbissene Grabenkämpfe. Aber auch die hatten ihren Reiz. Denn es zeigte sich, dass der russische Außenseiter sensationelle Widerstandskraft und einen stahlharten Willen, hatte, auch schlechte Stellungen zu halten. Das war sehr beeindruckend. Carlsen, der Weltmeister, hat in diesem Abnutzungskampf durchaus Federn gelassen. Er war nicht in Bestform, hatte überraschend große Mühe, klare Vorteile in Siege zu verwandeln. Eine Schwäche, die man bisher nicht an ihm kannte. Dennoch: Der Norweger wird auf Jahre hinaus das Maß aller Dinge in der Schachwelt bleiben.

Hier entlang: Schach-WM in New York – Nahtod-Erfahrungen am Schachbrett

Die Schachfans in aller Welt kamen auf ihre Kosten. Die Entscheidung in den vier Schnellpartien hatte für sie einen ähnlichen Reiz wie für Fußballfans das ultimative Elfmeterschießen. Dennoch muss der Weltschachbund gerade an dieser Stelle neu nachdenken. Dass der höchste Titel im klassischen Schach - und das bedeutet eben stundenlange Kämpfe mit all ihren Turbulenzen und Wendungen - am Ende in Schnellpartien vergeben wird, kann nicht richtig sein. Es ist fast so, als wenn zwei zeitgleich ins Ziel kommende 10.000-Meter-Läufer den Sieger in einem anschließenden 100-Meter-Sprint ermitteln müssen. In einer völlig anderen Disziplin also.

Früher dauerten die WM-Kämpfe 24, nicht wie heute zwölf Partien. Wenn damals das Match unentschieden endete, behielt der Titelverteidiger die Krone. Das war gerecht: Wer als Herausforderer in 24 Partien nicht gewinnen kann, hat den höchsten Titel nicht verdient. Der Tiebreak wurde eingeführt, weil nach der kurzen 12-Partien-Strecke die alte Regelung den amtierenden Champ zu sehr bevorzugen würde. Es wäre deshalb gerechter, die WM wieder ein wenig auszudehnen, vielleicht auf 16 Partien. Wenn attraktives Schach gespielt wird, sollte sich ein solches Format auch „verkaufen“ lassen. Erst recht, wenn an der Spitze der Schachwelt ein solcher Glamour-Boy wie Magnus Carlsen steht.