Er sagt, er habe es nicht immer leicht gehabt: Reinhold Carle. Foto: Judith A. Sägesser

Reinhold Carle gehört zu den erfolgreichen Wissenschaftlern an der Universität. Deshalb hatte er es nicht immer leicht, wie er selbst sagt.

Hohenheim - Reinhold Carle ist einer von den Fleißigen. Zwölf Stunden am Tag ist er für den Job im Einsatz, und das ist noch nicht alles. Er korrigiert immer und überall, „am Wochenende daheim in Altenriet oder auf dem Flug, mein Leben ist Korrigieren, meine Frau hat mir ein Beißholz geschenkt“. Das braucht er wohl nur selten, denn seine Arbeit macht ihm gar nichts aus.

Reinhold Carle sagt nicht nur, dass er viel arbeiten würde. Es gibt dafür Belege. In ihrer Dezember-Ausgabe hat die Fachzeitschrift Laborjournal ein Ranking veröffentlicht, das auflistet, welcher Wissenschaftler im deutschsprachigen Raum am häufigsten zitiert worden ist. Carle, der seit 1996 an der Universität Hohenheim den Lehrstuhl für Lebensmittel pflanzlicher Herkunft leitet, hat Platz 19 belegt.

Er sagt, dieser Erfolg hänge auch mit der Art seiner Lehre zusammen. Wer bei ihm promoviert, schreibt am Schluss keine Doktorarbeit. Stattdessen verlangt Carle von seinen Doktoranden, dass sie im Laufe von drei Jahren drei kürzere Arbeiten publizieren. „Dann schiebt man das Problem nicht vor sich her.“ Und den Doktoranden scheint es zu gefallen. „Es hat eine unheimliche Motivation in der Arbeitsgruppe ausgelöst“, sagt Carle.

In sechs, sieben Jahren wird Carle aufhören

Wenn der Professor von seinen Doktoranden spricht, und das tut er oft, dann klingt er sehr väterlich. Carle, der Doktorvater. Er nimmt das wörtlich. „Ich habe ja ein menschliches Schicksal in der Hand“, sagt er. 50 jungen Menschen hat er bald zum Doktortitel verholfen. In sechs, sieben Jahren wird Reinhold Carle aufhören. Er ist jetzt 61 Jahre alt. Aber er wird nur in Hohenheim aufhören, „die Arbeit wird nicht ausgehen“, sagt er. „Ich werde mir dann die Rosinen rauspicken.“

Am Anfang dieser Geschichte steht ein junger Mann, der in Tübingen Biologie und Chemie studiert. Danach hängt er noch Pharmazie dran und promoviert nebenher. Der Mann heißt Reinhold Carle, und sein Doktorvater ist überzeugt vom Talent seines Schützlings. Er habe ihn stets gefördert, sagt Carle heute. Er bot ihm sogar an, in Tübingen zu habilitieren. Doch daraus wurde nichts. Es habe Leute gegeben, die das zu verhindern wussten. „Es war nicht gegen mich gerichtet, sondern gegen meinen Doktorvater.“ Promoviert hat er natürlich trotzdem, aber eben in Regensburg.

Ränke und Intrigen, so ist das in der Wissenschaft. Carle hat es immer wieder erlebt und erlebt es noch. „Es gibt unter Professoren große Grausamkeiten“, sagt er. „Ich habe es nie einfach gehabt.“ Reinhold Carle erklärt sich das mit der Missgunst der anderen. „Wenn Sie aus der Masse herausragen wollen, gibt es immer Fallensteller.“ Er sagt es halb abgebrüht, halb verletzt. „Ich habe mir nichts mehr zu beweisen“, sagt er schließlich. Dafür seien die letzten 15 Jahre bei ihm zu gut gelaufen.

In vermeintlichem Fruchtabfall steckt Nützliches

Besonders gefallen haben ihm seine Erkenntnisse darüber, was sich aus vermeintlichem Fruchtabfall alles herausholen lässt. Seien es Schalen, Kerne oder Steine, überall schlummert Nützliches im Verborgenen, und Reinhold Carle gehörte zu jenen, die sie entdeckt haben. In der Mangoschale beispielsweise stecken Stoffe, die antibakterielle Eigenschaften haben. Und mit dem Fett im Mangokern lässt sich Kakaobutter ersetzen. Der holzige Teil kann verbrannt werden, erzeugt also Energie, „da bleibt gar nichts übrig“, sagt Carle.

Er hat Tuben mit Kräuterpaste entwickelt, er tüftelt derzeit an einer riesigen Salatwaschmaschine, die Bakterien wie den Ehec-Erreger von den Blättern spült, und Carle hat eine Methode entwickelt, um Apfelsaft haltbar zu machen – nämlich indem Bakterien mit Atomen durchlöchert werden. Reinhold Carle arbeitet bei seinen Projekten gern mit der Industrie zusammen, „aber ich würde nie ein Wunschergebnis liefern“, sagt er. „Ich bin ergebnisoffen.“ Und er macht nicht alles, „etwas Prickelndes muss schon dabei sein“.

Am vergangenen Freitag hat sich Reinhold Carle auf den Weg nach Costa Rica und Chile gemacht. Er legt ein Forschungssemester ein, „damit ich den Kontakt zum Labor nicht ganz verliere“. Einen Monat lang ist er unterwegs. Danach geht es in Hohenheim weiter. Als Doktorvater, der tagein, tagaus korrigiert. „Ich freue mich sehr, den Nachwuchs zu ertüchtigen“, sagt er und klingt wieder wie ein Vater.