Zu den Klängen der Atabaqué, einer fast brusthohen Trommel, und der Berimbau bewegen sich die Kinder. Foto: Georg Linsenmann

Beim SSV Stuttgart-Zuffenhausen können sich Kinder in der einst von Sklaven erfundenen Kampfsportart Capoeira erproben. Ein Mix aus Tanz, Kraft, Akrobatik und Rhythmusgefühl.

Zuffenhausen - Für Ronja ist Capoeira „halbe halbe“: „Halb Kampf und halb Tanz“. Eine Mischung, die der Elfjährigen auch deshalb Spaß macht, „weil da viel Musik dabei ist“, und natürlich gefällt es ihr, dass die Jungs in der Schule auch wegen Capoeira Respekt vor ihr haben: „Dann werden sie nicht so leicht frech.“ Seit vier Jahren ist Ronja nun schon in der Gruppe dabei, und ihre Mama weiß, „wie gut ihr das tut“: „Körpergefühl und -beherrschung, Dynamik und Sportlichkeit, das hilft auch beim Selbstbewusstsein, wenn die Kinder mal wieder einen Schub machen“, sagt Christine Schumacher, die „ein richtiger Fan“ dieser Sportart geworden ist: „Man braucht Mut, Kraft und Beweglichkeit, Rhythmusgefühl, Reaktionsschnelligkeit und oft ist das richtig akrobatisch. Wenn ich jünger wäre, würde ich das selbst machen“, schwärmt sie.

Natalie Castop will nur, „dass Luca nicht am Handy hängen bleibt und einen Sport findet, der ihm Spaß macht und wo er auch in der Gruppe lernt, mit anderen was Interessantes zu machen“. Luca ist noch am Schnuppern, kann schon den Handstand „und fast schon richtig das Rad. Aber da brauche ich noch ein paar Kämpfe!“

Kampf in Musik und Tanz gepackt

Für Nicolas wiederum ist Capoeira eine „super Ergänzung“, denn der Zehnjährige turnt seit dem dritten Lebensjahr beim TV Stammheim: „Hier kann ich coole Sprünge lernen und das Kämpfen ist auch gut.“ Worauf Ronjas Mutter ergänzt: „Es steckt einfach viel drin, auch von der Kultur her. Das ist eine schlaue Sportart, einst von Sklaven in der Karibik erfunden. Kämpfen durften sie nicht, also haben sie das in Musik und Tanz gepackt. Das ist faszinierend.“

Jetzt aber geht es gleich los in der Bädles-Halle auf der Schlotwiese. Die Kids, ein gutes Dutzend, sind schon ganz in Weiß und gleichen sehr einer Karate-Mannschaft. Mit einer weißen Kordel wird das Oberteil über der Hüfte festgezurrt, und die verschiedenen Grade des Könnens werden durch bunte Bommel am Ende angezeigt. Weiß, blau, rot, orange. Eine bunte Truppe also. Und jetzt kommt Braun dazu – von Miojo, dem Trainer, ein europaweit gefragter, in Stuttgart wohnender Capoeira-Meister aus Brasilien. Zweimal die Woche kommt er für eine Roda, wie das Training auf Portugiesisch genannt wird. Der Sprache, in der auch die Ordres geben werden.

Der Meister korrigiert akkurat

Und das läuft hier wie am Schnürchen! „Kein Quatsch!“ muss er nur einmal dazwischenrufen. Die Angesprochenen grinsen und sind dann „immer in der Reihe, nicht vergessen!“, wie Miojo mahnt, der jetzt den Bewegungskanon mit Schlägen auf der Atabaqué, einer fast brusthohen Trommel, durchüben lässt. Ganz sauber muss das sein, auch bei wechselnden Rhythmen, und im Bedarfsfall geht der Meister dazwischen und korrigiert akkurat, während sein Assistent die Trommel schlägt. Dann spannt Miojo die Saite auf Berimbau, während die Gruppe paarweise Räder schlägt. Zweimal die Halle rauf und runter, worauf sie mal trinken dürfen.

Jetzt aber hebt ein Dreier-Rhythmus an und alle versammeln sich im Kreis, mitklatschend zur weiter angereicherten Musik. Das Innere des Kreises, das ist jetzt die Kampf- und Tanzzone. Miojo ist der Vorsänger und „der Führer der Horde“ und schickt jetzt die ersten beiden Kombattanten rein. Kicks und „Kopfstöße“, angetäuschte Fußfeger, Sprünge und Schläge aus voller Drehung, Überschläge und Bewegungen, eindeutig zu schnell für das Auge des Ungeübten – und selbstredend alles nur ein Spiel, also (fast) ganz ohne Körperkontakt! Und ständig kommt ein Neuer rein, löst einen Kämpfer ab, „kauft“ ihn raus mit einer rituellen Bewegung, einem hurtigen Wischer über den Boden. Faszinierend, wie das absurrt, mit der Musik verschmilzt und dann schneller und schneller wird! Und eine Ahnung vermittelt von der befreienden Ekstase des Capoeira, mit der Sklaven einst ihren Herren ein Schnippchen schlugen.

Mit einem „Schamada“-Ruf ist dann alles vorbei. Die Kinder schlagen sich ab – und gehen glühenden Köpfen und leuchtenden Augen zurück in die Umkleide. „Ja, für diese Roda, für diese finale Kampfspiel trainiert man, und man kann das jedes Mal anders machen. Mal kämpferischer, mal rhythmischer“, sagt Dominik Schlechtweg, der den Capoeira-Meister gelegentlich vertritt. Und seine Frage ist rein rhetorischer Natur: „Haben Sie die Konzentration und Begeisterung der Kinder gesehen?“ Klar doch, sie war ja mit Händen zu greifen! Das also ist Capoeira . . .

Weitere Infos zum Capoeira-Training beim SSV gibt es unter: www.ssv-zuffenhausen.de