Helfer mit Charisma: Rupert Neudeck an Bord der Cap Anamur Foto: dpa

Unermüdlicher Lebensretter und Moralist: Rupert Neudeck , Mitgründer der Hilfsorganisation Cap Anamur, ist im Alter von 77 Jahren gestorben.

Stuttgart - „Klar ist freilich, dass wir diese Weltläufte nicht ohne Armeen und Waffen lenken können“: Eine Aussage – sie stammt aus dem Jahr 1993 –, die man aus dem Mund eines auf bedingungslose Humanität verpflichteten Menschenfreunds nicht gleich am Anfang eines Interviews erwartet. Und doch: Rupert Neudeck hat sich stets der rauen Wirklichkeit gestellt, sein Helfersyndrom mit der Realität abgeglichen. Am Dienstagmorgen starb Neudeck überraschend im Alter von 77 Jahren nach einer Herzoperation.

Neudeck – dieser Name steht unverrückbar für Mitmenschlichkeit, für den unbürokratischen Einsatz in Katastrophen. „Wo Menschen in Not und in Lebensgefahr sind, gilt es, ihnen zu Hilfe zu eilen, zu Lande, zu Wasser“, lautete das Credo des Mannes mit dem üppigen Bart und der hageren Figur. Jemand, der an zwei Orten gleichzeitig sein kann – diese Fähigkeit hätte er gerne gehabt. Der promovierte Philosoph, der die politische Ethik von Jean-Paul Sartre und Albert Camus erforschte, war ein Mann der Tat, einer, der anpackte. Er war 1979 Mitgründer des deutschen Komitees „Ein Schiff für Vietnam“, aus dem 1982 der Verein „Komitee Cap Anamur/Deutsche Notärzte“ hervorging. Mehr als 11 000 Vietnamesen retteten die Aktivisten von Cap Anamur in den 80er Jahren aus dem südchinesischen Meer.

2002 verabschiedete sich Neudeck bei Cap Anamur – laut „Spiegel online“ mit dem Ruf, kompromisslos und bisweilen auch autoritär zu sein. 2003 rief der mit vielen Auszeichnungen geehrte Journalist – noch im April erhielt er den Erich-Fromm-Preis in Tübingen – die Grünhelme ins Leben, die Bauprojekte in Konfliktregionen vorantreiben.

Aktionismus, der nur neue Konflikte schafft?

Während des Kosovokriegs und der Nato-Luftangriffe auf Serbien organisierte Neudeck 1999 Hilfe für die Vertriebenen. Cap Anamur unterstützte Flüchtlinge in Mazedonien und Albanien, half beim Wiederaufbau von Häusern und Schulen im Kosovo, besorgte Müllfahrzeuge und richtete medizinische Ambulanzen ein. Cap Anamur half Bürgerkriegsopfern im Sudan genauso wie Opfern der Taliban in Afghanistan.

Neudeck sorgte auch dafür, dass die Öffentlichkeit an seinen Taten teilhaben konnte. Die einen bewunderten sein Engagement, die anderen sahen darin einen Aktionismus, der nur neue Konflikte schafft. Auf jeden Fall ließ es sich der katholische Theologe nie nehmen, das Weltgeschehen zu kommentieren. In der Flüchtlingsdebatte forderte Neudeck den Einsatz der deutschen Marine und eine langfristige Seenotrettung im Mittelmeer. Er warf Europa Versagen in der Syrien-Krise und geißelte die Behörden in den Bundesländern dafür, dass sie Flüchtlingen Geld und Wertsachen abnehmen.

„Radikal leben“ heißt sein Buch, das vor gut zwei Jahren erschien. Seine Helden: Menschen, die im Kampf gegen Missstände ihr Leben riskieren. Seine Botschaft: Die Tugend des Widerstands muss erhalten bleiben. Es ist ein flehentlicher Aufruf gegen Unmenschlichkeit, Folter, Diskriminierung und Verschwendung. Auch in vielen Talk-Shows und in Interviews wirkte er als Mahner und Moralist.

Flucht von Danzig nach Westfalen

Rupert Neudeck kam am 14. Mai 1939 in Danzig zur Welt, nach der Flucht wurde seine Familie in Hagen sesshaft. Mit seiner Frau Christel lebte er in einem bescheidenen Reihenhaus in Troisdorf bei Bonn, das mitunter auch als Schalt- und Kommandozentrale für die Einsätze diente. Der dreifache Vater und mehrfache Großvater blieb bis zuletzt aktiv, mischte sich ein und sammelte Spenden. Vielen geretteten Flüchtlingen und ihren Nachkommen blieb er eng verbunden.