Auf Streife: Polizisten sorgen auf dem Wasen für Sicherheit und Ordnung Foto: Max Kovalenko

In 49 Tagen startet das Frühlingsfest auf dem Cannstatter Wasen. Dabei hat ein Zwischenfall aus dem Vorjahr noch Nachwirkungen. Eine unbedarfte Besucherin hatte ein Reizgas dabei – der Umgang mit dem Fall beschäftigt noch immer die Staatsanwaltschaft.

Stuttgart - Bösewichte sehen ja oft gar nicht wie Bösewichte aus. Erfahrene Ermittler wissen das, und deshalb konnte auch der nette Anblick einer aus dem Kreis Calw stammenden 22-jährigen Studentin niemanden täuschen, als sie am 1. Mai 2014 auf dem Cannstatter Wasen in jene verhängnisvolle Kontrolle geriet. Und einen Fall auslöste, der seither Polizei, Staatsanwaltschaft und Stadt in Atem hält.

Die junge Frau war Teil einer zehnköpfigen Gruppe, einer Familie aus Esslingen, die in einem Festzelt einen Tisch reserviert hatte. Mit Dirndl und freundlichem Lächeln stand sie in der Warteschlange vor dem Eingang, wo ein privater Sicherheitsdienst die Gäste kontrollierte. Ein Wachmann entdeckte dabei etwas Verdächtiges in ihrer Handtasche – ein Reizgasspray. Verstoß gegen die Benutzungsordnung für den Cannstatter Wasen, Paragraf 4, Absatz 2. Die Ordner nahmen die Frau fest und ihr den Personalausweis ab. Weil das Mitführen solcher Dinge verboten sei, hieß es, werde jetzt die Polizei geholt. Dass die 22-Jährige nichts von dem Verbot wusste – unerheblich.

Die Studentin aus dem Nordschwarzwald hätte zweifelsohne schlechte Karten – wäre das Oberhaupt der Familie, ihr Schwiegervater in spe, nicht vom Fach: Ein ehemaliger Stuttgarter Polizeibeamter – mit den Verhältnissen der Innenstadt und des Cannstatter Wasens bestens vertraut. Einer, der die Kompetenzen eines Privatwachdienstes kennt. Und vor allem die Polizeidienstvorschrift 350, die Bibel der Polizeiarbeit im Land. „Und da sind ganz klar rechtswidrige Dinge gelaufen“, sagt der 50-Jährige. Er stieß aber auf taube Ohren.

Die Ordner hatten den Ausweis und die Spraydose, dazu wurden Personendaten auf einem Formular notiert. „Private Unternehmen haben kein Recht, Personalien zur Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit festzustellen und eine Person festzuhalten“, sagt der Esslinger. Es kam noch schlimmer: Die Polizisten forderten die 22-Jährige auf, mit zur Wache zu kommen. Der 50-Jährige gab sich als Polizist zu erkennen, erklärte, dass dies nicht notwendig sei, weil die Personalien bekannt und das Tatmittel sichergestellt sei. Außerdem sei eine Festnahme bei einer Ordnungswidrigkeit nicht verhältnismäßig – und sogar rechtswidrig.

Offenbar wollte der Polizeikommissar aber ein Exempel statuieren. Er duldete keinen Widerspruch. Die 22-Jährige müsse mitkommen, erklärte er. Man könne sonst auch über einen unmittelbaren Zwang nachdenken. Flankiert von den Beamten ging die junge Frau mit. „Sie schämte sich in Grund und Boden und hoffte nur, dass sie keinem Bekannten begegnen würde“, so der ehemalige Stuttgarter Beamte, der sich nun auf der anderen Seite des Gesetzes wähnen musste. „Ich wurde belehrt, dass das rechtlich abgesichert sei und es eine entsprechende Generalvollmacht der Staatsanwaltschaft für den Wasen gebe“, so der 50-Jährige.

Auf der Wache wurden die Personalien festgehalten, Anhörbögen gefertigt und ausgehändigt. Dann durfte die Studentin wieder gehen. Der gesamte Vorfall soll anderthalb Stunden gedauert haben.

Immerhin: Das Ordnungsamt, das der Frau einen Bußgeldbescheid über 128,50 Euro in den Kreis Calw schickt, zieht diesen nach einem Einspruch wieder zurück. Das Argument, dass das Pfefferspray-Verbot mangelhaft ausgeschildert gewesen sei, zählt aber nicht: „Das Aushängen der Polizeiverordnung ist für deren Gültigkeit nicht zwingend erforderlich.“ Der für den Wasen zuständige Erste Bürgermeister Michael Föll dagegen gelobt Besserung: „Diese Art der Information der Festbesucher ist verbesserungsbedürftig“, erklärt er. Soweit der Veranstalter „für die Unannehmlichkeiten mitursächlich ist, möchte ich mich hierfür ausdrücklich entschuldigen“.

Doch wie sieht es mit dem Recht aus? Der Betroffene stellt gegen zwei Polizeikommissare des Cannstatter Reviers Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung. Außerdem fertigt er eine Dienstaufsichtsbeschwerde. Der zuständige Leitende Polizeidirektor Harald Weber antwortet: „Ich kann Ihnen versichern, dass wir die eingesetzten Beamten im Hinblick auf die Personalienfeststellung belehren werden.“ Was das für die Beamten dienstrechtlich bedeuten könnte, darüber gibt es keine Angaben. Die Staatsanwaltschaft verneinte zunächst eine Straftat der Freiheitsberaubung. Zwar habe es keine Rechtsgrundlage für die „Verbringung auf die Dienststelle“ gegeben. „Eine tatsächliche Beeinträchtigung der Bewegungsmöglichkeit der Betroffenen lag jedoch zu keiner Zeit vor“, heißt es in der Verfügung. Die Frau sei zudem freiwillig mitgegangen.

Eine Begründung, die offenbar nicht allen einleuchtet: der Generalstaatsanwaltschaft etwa, bei der von den Betroffenen Beschwerde eingelegt wurde. Die Einstellung wurde aufgehoben, der Fall an die Staatsanwaltschaft zurück verwiesen. Die Strafverfolger schalteten das Dezernat für Beamtendelikte, zuständig für mögliche schwarze Schafe in den eigenen Reihen, ein. Der 50-Jährige erfuhr dies, als die Kriminalpolizei in Esslingen ihn und Familienmitglieder als Zeugen in die Dienststelle beorderte und zu den Vorgängen befragte.

Der Wasen-Veranstalter in.Stuttgart, eine städtische Tochter, will solche Vorgänge beim nächsten Frühlingsfest, das am 18. April startet, nicht noch einmal haben. „Wir haben die Hinweise auf den Transparenten mit dem Reizgasverbot erweitert“, sagt Sprecher Jörg Klopfer. Außerdem wolle man dem Sicherheitsbedürfnis der Frauen Rechnung tragen: „Betroffene Frauen können ihre Reizgassprays vorübergehend beim Infopavillon abgeben und wieder abholen.“