Spurensuche: Am 16. September 2013 stirbt Florian H., damals 21 Jahre alt, in einem brennenden Wagen auf dem Cannstatter Wasen Foto: dpa

Florian H. starb im September 2013 in einem brennenden Wagen auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart. Seine Familie glaubt nicht an einen Suizid. Wusste der 21-Jährige zu viel über die Ermordung der Polizistin Kiesewetter in Heilbronn durch Rechts-Terroristen?

Stuttgart - Ein Funke, ein Knall, und das Fahrzeug stand sofort in Flammen. Andreas U. erinnert sich noch genau an die Szene, die er am Morgen des 16. September 2013 am Cannstatter Wasen in Stuttgart beobachtete. Der Konstrukteur war mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit. Durch Zufall wurde er Zeuge eines rätselhaften Todesfalles. Denn in dem schwarzen Peugeot, der an jenem Herbsttag um 9.00 Uhr in Stuttgart lichterloh brannte, starb Florian H.

Der 21-jährige Mann aus dem Landkreis Heilbronn soll sich laut Erkenntnissen der Polizei mit Kraftstoff übergossen und angezündet haben.

Weil H. Zeuge in den Ermittlungen zur rechten Terror-Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) war, thematisierte der NSU-Untersuchungsausschuss des Stuttgarter Landtages jetzt den Flammentod in Bad Cannstatt. Wieso geht da jetzt der Airbag los?, habe er im ersten Moment gedacht, berichtete Andreas U. am Montag den Parlamentariern in Stuttgart. Einen blauen Blitz und mehrere Verpuffungen habe er gesehen, bevor er zum Handy griff, um die Feuerwehr zu alarmieren.

Die konnte das brennende Auto schnell löschen – für Florian H. kam allerdings jede Hilfe zu spät. „Ein kurzes, heißes Feuer“ sei es gewesen, sagte ein Berufsfeuerwehrmann, der im Ausschuss als Sachverständiger gehört wurde. Als Brandbeschleuniger vermutete er „eher kein normales Benzin“. Die Auffindesituation an einer stark befahrenen Straße wertete er als „untypisch“. In Suizidabsicht zögen sich viele Menschen oft auf abgelegene Waldparkplätze zurück, so der erfahrene Feuerwehrmann.

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Die Abgeordneten bekamen allerdings auch Hinweise darauf, dass Florian H. seinem Leben tatsächlich ein Ende setzen wollte. Ein Schulkamerad des Betonbauer-Azubis schilderte, wie sie am Abend vor H.s Tod gemeinsam mit dem Auto auf dem Weg zum Ausbildungszentrum in Geradstetten gewesen seien. Florian H. habe an einer Tankstelle einen gelben Kanister mit Benzin gefüllt – obwohl sein Auto mit Ethanol gefahren sei.

Der angehende Maurer erinnerte sich auch daran, dass H. in der Woche vor seinem Tod „komisch drauf“ gewesen sei, nur noch wenig geredet habe. Das bestätigte auch ein anderer Kollege. H. habe zwei Nächte lang nicht geschlafen, sei alleine auf dem Balkon im Wohnheim gesessen. Von Problemen mit der Ex-Freundin und der Familie, aber auch von Drogenkonsum und Konflikten mit der Polizei habe Florian H. erzählt. Einigen Mitschülern gegenüber habe er geäußert, er werde „am Montag nicht mehr kommen“.

Auch die Vergangenheit von H. in der rechten Szene war anscheinend Thema unter den Mitschülern. Dass er „früher bei den Nazis dabei gewesen“ sei, habe er ihm bereits in der ersten gemeinsamen Unterrichtswoche gesagt, meinte der junge Mann, der mit ihm ein Zimmer teilte.

Florian H. bewegte sich in Neonazi-Kreisen, stand im März 2013 wegen Zeigen des Hitlergrußes vor Gericht. Das Landeskriminalamt hatte im Rahmen eines Aussteigerprogrammes für Rechtsextreme Kontakt zu ihm. Im Januar 2012 berichtete H. dem LKA von einer militanten Organisation, die unter dem Namen „Neoschutzstaffel“ (NSS) in Baden-Württemberg aktiv sei und einen Bezug zum NSU habe. „Mein Sohn war kein Heiliger“, sagte Gerhard H., der Vater des verstorbenen NSU-Zeugen, vor dem Landtagsgremium. Er habe aber die Kurve gekriegt und sich vom rechten Milieu gelöst – unter „heftigsten Drohungen“ seiner ehemaligen Gesinnungsgenossen.

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Scharf kritisierte Gerhard H. die baden-württembergische Polizei, von der sich sein Sohn Hilfe beim Schlussstrich mit der Szene erhofft habe. Die Beamten hätten ihn stattdessen „gemolken“, hätten immer wieder Informationen bekommen wollen. „Mein Vertrauen zum Staat hat gelitten“, stellte Gerhard H. klar. Den Landtagsabgeordneten gegenüber machte er trotzdem umfangreiche Angaben. Schon vor dem Auffliegen des NSU im November 2011 habe sein Sohn den Namen der mutmaßlichen Terrorgruppe erwähnt – neben anderen Gruppenbezeichnungen wie „Standarte Württemberg“ oder NSS.

Große Fragezeichen hinterließen auch Fotos, die Tatjana H., die Schwester von Florian H., dem Ausschuss übergab. Darauf seien Waffen zu sehen, die H. für Rechtsextreme in seinem Zimmer verwahrt habe. „In seinen Hochzeiten sind das bis zu fünf Schusswaffen gewesen“, äußerte Gerhard H. Später hätten die Rechten seinen Sohn bedrängt und Schulden geltend gemacht, weil die Polizei einige Waffen beschlagnahmt hätte.

Aus Akten, die unserer Zeitung vorliegen, ergibt sich, dass die Polizei im Sommer 2011 tatsächlich das Zimmer von Florian H. durchsuchte. Was es damit auf sich hat, wird der Untersuchungsausschuss vielleicht in einer seiner nächsten Sitzungen klären können. An zwei Tagen der nächsten Woche sollen weitere Sachverständige im Fall H. gehört werden – darunter Vertreter des LKA, der Stuttgarter Staatsanwaltschaft und des Aussteigerprogrammes „Big Rex“.