Olaf Schulze vor dem Haus, in dem Thomas Manns Tante lebte. Foto: Eva Maria Bast

In der Reihe Cannstatter Geheimnisse geht es um den Schriftsteller Thomas Mann und wie ihn Bad Cannstatt zu seinem Gesellschaftsroman „Die Buddenbrooks“ inspirierte. Das erzählt der Historiker Olaf Schulze.

Bad Cannstatt - Dieses Haus an der Ecke Kreuznacher und Wildbader Straße ist, das kann man ohne Übertreibung sagen, für die Literatur von einiger Bedeutung. In seinem Innern haben sich Dramen abgespielt, wurden Teller an die Wand geworfen und üble Schimpfworte ausgestoßen. All das schlug sich in der Literatur nieder, denn was sich hier ereignete, war dem Schriftsteller Thomas Mann Inspiration für seinen Gesellschaftsroman „Die Buddenbrooks“. Als Vorlage für das Werk diente Thomas Mann seine eigene Familiengeschichte. Und auch seine Tante Elisabeth Amalie Hyppolita Mann, geschiedene Elfeld, geschiedene Haag und deren Gatte Gustav Haag, die in eben diesem Haus in Cannstatt lebten.

Tony lernt den Hopfenhändler Alois Permaneder kennen

Das erzählt der Historiker Olaf Schulze, der die Lorbeeren für diese Erkenntnis aber nicht selbst ernten will: „Herausgefunden hat das Karsten Blöcker, ein Rechtsanwalt, der in Lübeck das jüngste der Buddenbrook-Häuser kaufte, sich mit dessen Geschichte befasste und schließlich so fasziniert war, dass er der Wahrheit hinter der Fiktion des Romans nachspürte.“

Tante Elisabeth Amalie Hyppolita ist im Roman keine geringere als Tony, die Tochter der Kaufmannsfamilie. Im Buch muss sie den Hamburger Benedix Grünlich heiraten, obwohl sie ihn nicht liebt. Mit dem Vermögen der Familie geht es bergab, sowohl der Vater als auch Grünlich verlieren viel Geld, Tony gesteht: „Er war mir immer widerlich“, und lässt sich scheiden. Das Pendant zu Benedix Grünlich im echten Leben ist Elisabeths erster Gatte Ernst Elfeld. Wie Tony wurde auch Elisabeth zu ihrer ersten Ehe genötigt und auch ihr Ehemann ging bankrott, wie Tony lässt sich auch Elisabeth scheiden. Im Roman lernt Tony in München den Hopfenhändler Alois Permaneder kennen und heiratet ihn. Im echten Leben zieht Elisabeth nach Esslingen und begegnet dem Kaufmann Gustav Haag, den sie 1866 heiratet.

Wirtschaftlich geht’s bergab

Wieder Parallelen zwischen Roman und Wirklichkeit: Während Permaneder sich mit der Mitgift seiner Gattin zur Ruhe setzt, betreibt Gustav Haag zwar noch seine Eisenwarenhandlung, gibt sie dann aber auf und zieht – und nun kommt endlich das Haus ins Spiel – mit der Familie im Jahr 1870 nach Cannstatt. Wirtschaftlich geht’s bergab, Haag wird immer aggressiver gegen seine Familie.

Während Alois Permaneder seiner Gattin im Roman „Geh zum Deifi, Saulud’r dreckats!“ hinterherbrüllt, schreibt Julia Mann über ihren angeheirateten Onkel von „Heftigkeit und Grobheit im Charakter. Er warf Teller auf die Erde, wenn ihm das Essen nicht paßte, und als seine Frau einmal das Unglück hatte, sich beim Frühstück an einem Zwieback einen Zahn auszubeißen, machte er ihr, in seiner Eitelkeit, eine hübsche Frau zu haben, gekränkt eine Scene, als sei sie daran schuld.“

Ob der „klassische Satz mit dem ‚dreckata Saulud’r‘“ auch im wirklichen Leben so gefallen ist, lasse sich nicht herausfinden, sagt Schulze, fügt aber schmunzelnd hinzu: „Er würde ja im Schwäbischen fast genauso klingen wie im Bayerischen. Möglich ist es also.“ Gustav Haag verliert nach und nach völlig die Kontrolle über sein Leben und landet im Gefängnis. Wieder Scheidung. Bei Elisabeth im echten und bei Tony im fiktiven Leben. Im Roman erwischt Tony ihren Permaneder, als er versucht, die sich heftig wehrende Köchin zu küssen. Hier hat Thomas Mann die Romanhandlung offensichtlich weniger dramatisch dargestellt, als es in der Realität gewesen sein muss. Elisabeth wirft ihrem Gatten nämlich vor, er habe „in den Jahren 1879 und 1880 (...) wiederholt mit prostituierten Dirnen geschlechtlich verkehrt und solcherart die Ehe gebrochen.“

„Die Buddenbrooks“ werden wohl immer zur Weltliteratur gehören. Elisabeth Amalia Hyppolita Haag aber, der ein Zahn ausfiel, als sie in einen Zwieback biss, und die von ihrem Gatten deshalb in den Senkel gestellt wurde, ist lang schon in Vergessenheit geraten. Ebenso wie das Haus, in dem sie in Cannstatt lebte. Und auf dessen Böden Gustav Haag vor lauter Wut Teller zertrümmerte, wenn ihm das Essen nicht schmeckte.

Buchinfos
: Die ausführliche Geschichte sowie viele weitere Cannstatter Geheimnisse stehen im gleichnamigen Buch. Es hat knapp 200 Seiten, ist durchgehend bebildert und kostet 14,90 Euro. Erhältlich ist es im Buchhandel, telefonisch unter der Nummer 0 75 51/6 33 20 oder über die Homepage der Autorinnen (portofreier Versand): www.buero-bast.de/shop. ISBN: 978-3-9816796-2-5.