Marcus Meyn, Oliver Kreyssig und Heiko Maile (von links) Foto: Klaus J. A. Mellenthin

Es gibt sie noch. Camouflage haben ein neues Album gemacht – „Greyscale“. Marcus Meyn und Heiko Maile über früher und heute, Zeitlosigkeit und das eigene Leben von Liedern.

Herr Meyn, Herr Maile, man muss es ja fragen: Wo waren Camouflage all die Jahre?
Meyn: Wir haben viel live gespielt seit dem vorigen Album im Jahr 2006. Und wir haben einfach unser Leben gelebt. Das heißt, Heiko hat die Musik zu vielen Filmen gemacht. Ich habe nach der großen Karriere für Plattenfirmen gearbeitet. Inzwischen habe ich eine kleine Baufirma, mit der ich Telekommunikationsbau im Glasfaserbereich mache. Damit habe ich mir ein ganz anderes Standbein aufgebaut. Olli arbeitet nach wie vor für die Musikindustrie.
„Relocated“ erschien 2006. War das ein Moment, an dem die Band dachte, dass es das mit der Musik jetzt war?
Maile: So etwas überlegen wir uns nicht. Dann kam ja noch eine Live-DVD, es gab eine „Archives“-Serie mit raren Songs, dann kam das 30-Jahr-Bandjubiläum. Das war ein großes Projekt: eine Box mit zehn CDs und einem Fotobuch.
Meyn: Das war dann doch ein Mammutprojekt. Wir pfuschen nichts zusammen, sondern sind in allem Perfektionisten. Das braucht Zeit. Da fliegen die Jahre so dahin, und man stellt fest, wie lang alles her ist.
Das aktuelle Album „Greyscale“ klingt ganz klar nach Camouflage, aber auch nach 2015. Also zeitgemäß. War das Ihr Ziel?
Maile: Es gibt immer ganz unterschiedliche Ziele. Unsere persönlichen Erwartungen an unser Songwriting sind heute natürlich anders als vor zwanzig Jahren. Ich will damit aber nicht sagen, dass das schlechte Songs waren. Man möchte als Künstler weiterkommen. Das ist der Ansporn. Das andere ist der Sound, den man finden muss, der uns drei vertritt. Wir sind nur die Summe unserer einzelnen Geschmäcker. Und wir wollen eine gewisse Zeitlosigkeit erreichen. Nur dann wirken Dinge modern.
Was für Geschmäcker kommen da zusammen?
Meyn: Es gibt schon Kämpfe untereinander. Bei uns wird wahnsinnig viel geredet. Durch Klangbeispiele werden Tatsachen geschaffen, dann äußern die anderen ihre Meinung. So tastet man sich langsam vor. Bis man irgendwann an den Punkt kommt, an dem ein Schlussstrich gezogen werden muss. Entweder man macht das dann so, oder der Song wird nicht fertig. Der Maler muss auch irgendwann den Pinsel weglegen.
Sie waren mit Camouflage in den 1980er Jahren sehr erfolgreich. Seit damals hat sich die Musikindustrie komplett verändert.
Meyn: Das ist schon sehr verrückt. Wir haben gestern die Verkaufszahlen der aktuellen Top 100 bekommen. Das ist unglaublich, mit wie wenig verkauften Platten man in die Charts kommt. In den 80er Jahren hat man am Tag auch mal 10 000 Platten verkauft. Wenn man das heute in der Woche schafft, geht man in die Top 10. Heute zählen Downloads und Streams mit rein. Das war eine ganz andere Zeit. Die Wahrnehmung war eine andere. Und wir waren anders drauf. Heute sind wir Familienväter, Musik spielt eine andere Rolle, und wir sind nicht mehr so unbedarft. Dieses 80er-Gefühl gibt es nicht mehr. Das Leben hat einen anderen Ernst bekommen. Das ist in Ordnung.
Maile: Wir machen heute ein megaprofessionelles Hobby. Wir leben nicht davon.
Sie waren viel unterwegs. Gibt es Momente, die Sie nicht vergessen werden?
Maile: Da gibt es einige. 2004 waren wir zum ersten Mal in Moskau. Da wussten wir nicht, was auf uns zukommt.
Meyn: Dieses Konzert war ein emotionaler Moment: Ausverkauft in Moskau, und die Leute singen jedes Lied mit.
Maile: Das ist eine Kraft, die wir in uns entdeckt haben. In der alten Struktur wäre dies nicht möglich gewesen. Wir brauchten eine Zäsur. Man muss sich das vorstellen: Bei den ersten Tourneen hatten wir unseren eigenen Koch dabei, jede Box für unsere Instrumente wurde mitgeschleppt. Das war natürlich unglaublich teuer. Damals hatte man gedacht, dass man bei Tourneen kein Geld verdienen muss. Tourneen waren Werbung für Platten. Heute ist es genau andersrum.
In der Zwischenzeit wurde das Internet erfunden. Auch das brachte viel Veränderung.
Maile: Es ist ganz schräg. Das bringt auf vielen verschiedenen Ebenen Veränderungen. Natürlich kaufen die Menschen weniger Alben. Es gibt aber auch positive Kleinigkeiten. In Südamerika, vor allem in Argentinien, singen die Leute zwischen den Songs. Dann sehen die Fans in Deutschland das auf You Tube und singen dann auf einmal auch mit. Da gibt es eine Verbindung. Die Räume sind nicht mehr so geschlossen. Das hat Vor- und Nachteile. Jeder schiefe Ton landet im Internet.
Was ist das beste Lied, das Sie je geschrieben haben?
Maile: Ich glaube, unser bestes Lied ist „Suspicious Love“. Ich kann gar nicht sagen, warum. Egal in welcher Version, der Song berührt mich immer.
Meyn: Ich kann mich fast nicht festlegen. Ich werde beispielsweise „That Smiling Face“ immer lieben. Das ist eine Nummer, die mich immer wieder berührt. Schön aber ist, dass unsere Lieder immer wieder Geschichten zu Biografien von anderen Menschen sind.
Maile: „Love Is A Shield“ wird in Argentinien immer zu Hochzeiten gespielt. Warum auch immer. Ein Song bekommt in einem gewissen Kontext ein neues Leben. Normalerweise gibt es nur den Unterschied zwischen Städten: Die eine ist mehr „Love Is A Shield“, die andere „The Great Commandment“.
Wie ist Stuttgart?
Meyn: Stuttgart ist ein schwieriges Pflaster, wir haben hier schon lange nicht mehr gespielt. Das ist aber unsere Heimat. Vielleicht sind wir ein bisschen der Prophet im eigenen Land. Da sind wir schon nervös, wenn wir auf die Bühne gehen. Das hat etwas Eigenes.