Alternativer Konsum auf Zeit: In die Calwer Passage kehrt wieder Leben ein, unter anderen verkauft Birgit Neußer ihre selbst gemachte Marmelade. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Calwer Passagen werden für drei Monate mit diversen Läden bespielt. Unter anderem bietet Birgit Neußer im Laden von Herrn Kächele schwäbische Feinkost ihrer Marke Landfrau an.

Stuttgart - Wenn Birgit Neußer von ihren selbst gekochten Kreationen und ihrem Garten erzählt, da würde man sie am liebsten besuchen in ihrem Häuschen am Stuttgarter Wartberg. Rund 30 Kräuter wachsen dort am Fuße des Killesbergparks, die derzeit getrocknet werden, um dann in leckerem roten Pesto, Mango-Lavendel-Senf oder Bärlauch-Blüten-Salz verarbeitet zu werden. Ihre stets saisonal ausgerichtete Angebotspalette reicht von Quittengelee über scharfes Pflaumen-Chutney bis hin zu Tomatensugo. Derzeit tüftelt sie an einem köstlichen Weihnachtsfruchtaufstrich.

Die dunkelhaarige Frau mit dem frechen, kurzen Pony steht für die personifizierte Landfrau. Unter dieser Marke verkauft sie seit vier Jahren ihre Produkte. Ihr leicht verfremdetes Konterfei ziert auch die Gläschen, in denen sie Eingekochtes und Gekochtes anbietet. Die 45-Jährige kommt dabei ohne künstliche Aromen und Zusatzstoffe aus und verwendet nur regionales und ungespritztes Obst und Gemüse, das sie in Großküchen von befreundeten Gastronomen verarbeitet. „Ich habe einen ziemlich perfektionistischen Anspruch“, erzählt Birgit Neußer und nippt an ihrem Milchkaffee. Sie macht alles selbst. Die Etiketten, die Visitenkarten, die Vermarktung und natürlich ihren Foodblog (www.dielandfrau.com). Der umfasst mittlerweile 400 Rezepte und wurde schon von mehr als einer Million Lesern geklickt.

Einige der Rezepte stammen noch von ihrer Großmutter, die eine leidenschaftliche Köchin war. Das hat sich vererbt. Birgit Neußer arbeitete lange in der gehobenen Gastronomie wie dem Steigenberger Frankfurter Hof und dem Bad-Hotel Bad Teinach, ehe sie ins Marketing wechselte. Der Kontakt zum Kochen ist aber nie abgerissen. Erst profitierten Freunde von den Künsten der Landfrau. Inzwischen ist sie in ganz Stuttgart bekannt. Bislang verkaufte sie ihre Waren auf Märkten, zu Hause oder lieferte ihre Artikel an Firmen. Sie hat schon wieder eine lange Liste mit Bestellungen von Unternehmen, die Gelees- und Marmeladengläschen für die Weihnachtszeit wollen.

Jetzt begibt sich Birgit Neußer aber auf eine neue Spielwiese und verkauft ihre Leckereien erstmals in einem Laden und zwar bei Herr Kächele – Schwäbische Feinkost. Dieser ist Teil der Temporary Concept Mall Fluxus, mit der die Calwer Passage am dem 1. November für drei Monate zwischengenutzt wird. „Sie passt mit ihren hochwertigen Produkten hervorragend zu unserem Konzept“, sagt Jens Caspar, der geistige Vater von Herrn Kächele. Das Angebot reicht von frischen Maultaschen und Spätzle mit Soß’, üppig belegten Bioland-Brezeln zum Mitnehmen, Schnitzbrot, Springerle sowie Mozzarella und anderen Käsesorten von den Albbüffeln von Willi Wolf. „So was habe ich in Stuttgart vermisst. Wir haben Nachholbedarf an kulinarischem Lokalkolorit“, sagt Jens Caspar, der mit einer Flotte von Maultaschen -und Eisfahrrädern bereits seit einiger Zeit Veranstaltungen mit Speisen auf die Hand beliefert. Im Programm hat er Maultaschen klassisch und vegetarisch, die Eissorten klingen mit Brezeleis, Wibeleseis und Johannisbeerkucheneis eher exotisch.

Jetzt also trifft in Kächeles Feinkost Birgit Neußers Gsälz auf Maultasche und Spätzle. „Ich denke, wir passen sehr gut zusammen“, sagt Birgit Neußer. Sie hofft wie Caspar auf eine Fortsetzung, wenn das Drei-Monate-Projekt Ende Januar abgeschlossen ist. „Wenn es gut läuft, werde ich danach einen eigenen Laden aufmachen“, sagt Birgit Neußer. Die alleinerziehende Mutter, die als Marketingleiterin einer Agentur arbeitet, will sich im kommenden Jahr nur noch auf die Landfrau konzentrieren.

Zunächst aber wird sie ihre Leckereien bei Herrn Kächele in einem Regal aus Weinkisten präsentieren. Mit dabei ist auch die nicht wirklich schwäbisch klingende, arabischstämmige Würzmischung Dukkah, die sie in Neuseeland entdeckt hat. Dort ist Birgit Neußer mit ihrer Tochter Marie Louise einmal im Jahr, denn in Auckland lebt ihre Mutter und betreibt ein Eventrestaurant. Dort lässt sie sich gerne inspirieren, ebenso wie auf ihren Reisen nach Istanbul, Paris, London, in die Bretagne oder die Toskana.

Die Anwendung von Dukkah ist einfach: Man taucht ein Stück Fladenbrot zunächst in Olivenöl und dann in die Gewürze, die es in mehreren Mischungen gibt. Eine einfache Vorspeise. „Ich experimentiere ständig und spiele gern mit unterschiedlichen Geschmacksrichtungen“, sagt Birgit Neußer. Ihre Geheimnisse teilt sie mit anderen und gibt ihr Können bei Kursen weiter. So führt sie Interessierte in die Kunst des Einkochens ein, verrät, wie man einen Nudelteig herstellt oder Tomatensugo einkocht. Hinter allem aber steht die Botschaft: Die Zubereitung von gutem Essen ist kein Hexenwerk.

Alternatives Gegenmodell: Unter dem Motto Mode, Vintage, Zeitgeist und Design werden sich vom 3. November bis zum 31. Januar 2015 in der Calwer Passage 16 Geschäfts-und Gastronomie-Konzepte präsentieren. Das alternative Einkaufsmodell firmiert unter dem Titel Fluxus-Temporary Concept Mall und ist ein bewusster Gegenentwurf zu den Komsumtempeln Milaneo und Gerber.

Wilde Mischung: Das Angebot reicht vom Tagescafe Bohème und einer Kunstgalerie bis hin zu Modeboutiquen von Jungdesignern, einem Mädchenflohmarkt, schwäbischer Feinkost und Kindermöbeln. Junge Talente sollen sich damit für drei Monate in der Innenstadt von Stuttgart präsentieren können.

Nächtliche Eröffnungsparty: Das Opening im Fluxus beginnt am Samstag, 1. November, um 20 Uhr mit einem Rundgang, einer Vernissage und ab Mitternacht mit einer Eröffnungsparty. Wie es danach mit der Calwer Passage weitergeht und wann wieder dauerhaftes Leben dort einziehen wird, ist noch offen. (eru)