Achtung, Automat: Was eine Kurzstrecke ist, darauf muss der Fahrgast schon selbst achten Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Wann ist ein Erwachsener ein Kind? Und warum ein Kind ein Erwachsener? Weshalb verlangt ein Ticketautomat doppelt so viel wie nötig? Auf Fahrgäste wartet im Nahverkehr so manche Falle.

Stuttgart - Defekte Weichen und Verspätungen im S-Bahn-Netz, verpasste Anschlüsse zwischen Linienbus und Stadtbahn, jährlich steigende Fahrpreise: Vielfältig ist der Ärger, den Fahrgäste des Verkehrsverbunds Stuttgart (VVS) haben können. Die Mängelliste bei Vertrauen und Verlässlichkeit wird länger.

Die Kinder-Falle

Es ist Samstag, kurz nach 22.30 Uhr, als ein Junge einen Bus der Linie 74 der Stuttgarter Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) betritt und einen Einzelfahrschein für drei Zonen lösen will. „Das macht 3,90 Euro“, sagt der Busfahrer. Ein Heranwachsender, der den Jungen begleitet, protestiert: „Der ist doch noch Kind, das sind doch 1,80 Euro.“

Der Busfahrer zeigt sich unbeeindruckt. „Es ist jetzt nach 22 Uhr“, zeigt er auf die Uhr, „und Kinder sind jetzt nur noch Kinder, wenn sie in Begleitung eines Erziehungsberechtigten sind.“ So stehe es im Jugendschutzgesetz. Da dürfe man nachts nicht alleine herumlaufen. „Deshalb hat man ja das Gesetz gemacht.“ Der Junge zahlt 3,90 Euro. Um ihn als Erwachsenen zu tarnen? Weil er als Kind nachts nicht alleine und ohne Begleitung transportiert werden darf?

Im Jugendschutzgesetz ist tatsächlich von Aufenthaltsbeschränkungen und -verboten, von Abgabebeschränkungen von Bier, Zigaretten oder branntweinhaltigen Getränken, von Alters- und Zeitgrenzen die Rede. Beschränkt ist aber ausdrücklich nur der „Zugang zu Produkten oder Orten, von denen eine mögliche Gefährdung für Kinder und Jugendliche ausgehen kann“: Gaststätten, Discos, Tanzveranstaltungen, Spielhallen, Sexkinos.

Aber auch Linienbusse der SSB? In den Beförderungsrichtlinien ist hierzu nichts zu finden. Kann es auch gar nicht: „So eine Regelung gibt es definitiv nicht“, sagt Pia Karge, Sprecherin des Verkehrsverbunds. Warum der Busfahrer den Jungen zum Erwachsenen stempelte, bleibt vorerst unklar. Eine reine Erziehungsmaßnahme, weil sich Jugendliche abends gerne den Kindertarif ergaunern? Oder Böswilligkeit? „Wir konnten den Fahrer noch nicht zu dem Vorgang befragen“, sagt Susanne Schupp von den SSB. Offenbar, so die Sprecherin, müssten da falsche Informationen korrigiert werden.

Die Wissens-Lücke

Der VVS hat mit dem neuen Jahresfahrplan nicht nur Fahrräder und Hunde zu Kindern im Sinne des Tarifs gemacht, sondern auch Erwachsene. Kind sein darf ein Erwachsener immer dann, wenn er Besitzer eines abonnierten Jahres-Tickets plus ist und für eine Anschlussfahrt über den Geltungsbereich hinaus zahlen will. Hierfür müssen nur Kindertickets gelöst werden.

Noch über ein halbes Jahr später hat sich dies unter dem Prüfpersonal offenbar noch nicht herumgesprochen: „Da muss ich mal einen Kollegen fragen“, sagt ein Kontrolleur in einer Stadtbahn der Linie U 6. Doch der Kollege ist ebenfalls überrascht. Ein Erwachsener mit Kinderticket? Doch der Betroffene lässt sich nicht beirren, und andere Fahrgäste bestätigen die Regelung. „Dann glaube ich Ihnen“, sagt der Kontrolleur, „und wir klären das später.“

Die Automaten-Tücke

Kurzstrecken sind nichts für die Schaltungen der Blechkästen. Beispiel Löwentorbrücke, Stuttgart-Nord: Gleich drei Stadtbahnlinien fahren derzeit von dort zum Hauptbahnhof. U 6, U 7, U 15. Wer das Ziel am Fahrkartenautomaten eintippt, bekommt den Fahrpreis für eine Zone präsentiert: 2,30 Euro. Gelegenheitsfahrgäste und Fremde dürften darauf hereinfallen. Tatsächlich aber ist der Hauptbahnhof die dritte Haltestelle – und die Fahrt damit tariflich eine Kurzstrecke. Die kostet lediglich 1,20 Euro. Noch extremer ist der Unterschied bei der S-Bahn, wo die nächste Haltestelle als Kurzstrecke gilt. Zwischen Hauptbahnhof und Bad Cannstatt verlangt ein SSB-Automat sogar 2,70 Euro, weil es über zwei Zonen geht.

„Ein Betrug“, wettert der Verkehrsclub Deutschland. Dabei gelte die Kurzstrecken-Regelung seit 2012, ohne dass die Automaten dies umgesetzt hätten. SSB-Sprecherin Schupp sieht hier nur eine Lösung – die Tableaus auf den 505 SSB-Automaten sollen verbessert werden: „Wir wollen den Hinweis auf die Kurzstrecke noch deutlicher machen“, sagt sie. Der Fahrgast muss aber selbst die K-Taste drücken. Eine Umprogrammierung der Automaten eines Mönchengladbacher Herstellers käme offenbar zu teuer. „Man müsste von der Software her jede Haltestelle einzeln ausweisen“, so Sprecherin Schupp.

Der Digital-Fehlstart

Die neue Multifunktions-Plastikkarte Polygo, die die alten Wertmarken ablösen soll, ist noch ein Muster mit beschränktem Wert. Stuttgarter Schüler dürften sich freuen: Denn dafür gibt es noch keine Einstiegskontrollen in den SSB-Linienbussen. Die Lesegeräte sind dafür noch nicht vorhanden, der Busfahrer kann bis Anfang 2016 keine Polygo kontrollieren. „Im Grunde ist das aber keine andere Situation als vor der Pflicht zum Vordereinstieg im Jahr 2011“, sagt SSB-Sprecherin Schupp. Denn die Fahrkarten-Kontrolleure hätten bereits die richtigen Geräte dafür.

Die Tickets per Smartphone haben ihren Fehlstart in den Landkreisen schon hinter sich. Einzelne Buscomputer hatten die Codes nicht erkannt. Mit der neuen VVS-App soll das aber nicht mehr passieren.