Martin Kusej wechselt von München nach Berlin Foto: dpa

Der Regisseur Martin Kusej hat mit Grabbes „Herzog Theodor von Gotland“ oder „King Arthur“ große Arbeiten während Friedrich Schirmers Stuttgarter Intendanz gezeigt. Jetzt wird er Burgtheaterchef.

München - Zwei Deutsche übernehmen das Schauspielhaus Zürich, hieß es vor wenigen Tagen, als die Nachricht die Runde machte, dass Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg Intendanten an der wichtigsten Schweizer Sprechbühnewerden. Jetzt leitet wieder einmal ein Österreicher das Burgtheater in Wien: Martin Kusej, 1961 in Kärnten geboren. Er folgt im Herbst 2019 Karin Bergmann, die nach dem Finanzskandal und nach der Kündigung von Matthias Hartmann 2014 das Haus wieder derart auf Kurs brachte, dass es 2015/2015 zum Theater des Jahres gewählt wurde – das war zuletzt Intendant Claus Peymann geglückt, zwanzig Jahre zuvor. München hat jetzt ein Problem, denn 2015 hatte Kusej seinen Vertrag am Residenztheater noch bis 2021 verlängert. „Ich bin hier auf keinen Fall fertig“ sagte er damals. Doch das Burgtheater ist nicht irgendeine Bühne, da kann man schon mal ein bisschen rascher an einem anderen Haus fertig werden, wenn der Ruf in den Olymp erfolgt.

Man hätte Kusej auch schon früher in Wien haben können. Doch als Nachfolger Nikolaus Bachlers wurde ihm damals Hartmann vorgezogen. Kusej hatte zwar Leitungserfahrung (er war bei den Salzburger Festspielen fürs Schauspiel verantwortlich), doch der Konkurrent konnte mehr Intendanzerfahrung (Bochum und Zürich) vorweisen. Kusejs Ärger über die Zurückweisung hat ihn glücklicherweise nicht davon abgehalten, nun das traditionsreiche Wiener Haus zu übernehmen.

Erfolge in München

Eine erwartbare, eine gute Wahl. Kusej hatte in den vergangenen Jahren in München Mut gezeigt. Immerhin trat er am Bayerischen Staatstheater die Nachfolge von Dieter Dorn an, der während seiner jahrzehntelangen Intendanz erst an den Kammerspielen, dann am Residenztheater von einem konservativen Theaterpublikum extrem verehrt wurde. Kusej hat diesem Publikum dann auch Produktionen zugemutet, die deutlich weniger texttreu waren als die von Dorn, darunter Regiearbeiten von Frank Castorf. Sein „Baal“ von Brecht wurde zum Berliner Theatertreffen eingeladen, durfte aber schon bald nicht mehr gespielt werden, weil die Brecht-Erben intervenierten und wegen zu wenig Texttreue weitere Aufführungen verboten. Auch mit der jüngsten Theatertreffen-Einladung 2017 gab’s Malheure, das imposante Bühnenbild von Ulrich Rasches Schiller-Inszenierung „Räuber“ passte auf keine Berliner Bühne. Die Inszenierung wurde abgefilmt und wird am 11. November im Fernsehen (3-Sat) zu sehen sein.

Warum Martin Kusej dennoch das Publikum – anders als bei seinem Kollegen Matthias Lilienthal an den Kammerspielen – nicht davongelaufen ist? (Die Auslastung liegt aktuell bei satten 84 Prozent) Womöglich, weil Kusej weniger als andere Moden wie Filmadaptionen mitmachte, wenngleich er seine Ankündigung, nur Dramen und nicht einmal Romanadaptionen zu zeigen, nur kurz durchhielt. Und auch weil er die Zahl der Ur- und Erstaufführungen reduzierte. „Die Offenheit in Teilen des Publikums war dafür nicht gegeben“, sagte er in einem Interview. Allerdings war seinen Spielplänen eine große Ernsthaftigkeit nicht abzusprechen, und er verfügt mit Schauspielern wie Sophie von Kessel, Juliane Köhler, Manfred Zapatka, Oliver Nägele oder auch Norman Hacker über ein so glanzvolles wie solides Ensemble. Und für die kommende Saison konnte er mit Anna Drexler und der Stuttgarterin Katja Bürkle zwei Schauspielerinnen ans Haus binden, die noch unter Johan Simons’ Intendanz im Haus gegenüber an den Kammerspielen gearbeitet und nun enttäuscht das Haus verlassen hatten. Am „Resi“ hat Bürkle schon häufiger gespielt. Denn Kusejs hervorragende Inszenierung „Jagdszenen in Niederbayern“ von Martin Sperr mit Bürkle in einer der Hauptrollen, die an den Kammerspielen Premiere hatten, kamen kurz nach seinem Intendanzstart ins Repertoire.

Kusej ist anders als manch anderem inszenierenden Intendanten die Doppelbelastung – ein Haus leiten und Stück inszenieren – offenbar gut bekommen. Auch wenn er sich mit Tschechows „Iwanow“ zuletzt erstaunlich resignativ gezeigt hat: Seine Arbeiten sind von enormer Kraft. Sei es seine Eröffnungsinszenierung 2011, Schnitzlers „Das weite Land“, sei es das Fassbinder-Kammerspiel „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ mit Bibiana Beglau, Elisabeth Schwarz und Sophie von Kessel.

Erste Triumphe in Stuttgart

Über Martin Kusejs Wiener Triumph freuen dürfte sich auch ein Theatermacher in Esslingen. 1993 wurde Friedrich Schirmer, aktuell Chef der Landesbühne Esslingen, Intendant am Stuttgarter Schauspielhaus. Er übertrug Martin Kusej die Eröffnungsinszenierung. „Herzog Theodor von Gothland“ von Grabbe. Ein blutiges Drama, das viele für unspielbar hielten. „Es ist ein atemberaubendes Stück, und ich kann mir im Augenblick keinen gewichtigeren Autor als Grabbe vorstellen“, sagte Schirmer damals in einem Interview mit dem Theaterkritiker der Stuttgarter Zeitung, Wolfgang Ignée. „Dieser Autor zwischen Kleist und Büchner passt in die Übergangsgesellschaft von heute. Außerdem habe ich dafür einen Regisseur, Martin Kusej, mit dem analytischen Verstand und der Bildmächtigkeit, die man für Grabbe braucht.“ Kusej nutzte Stuttgart als Experimentierbühne, mit Sarah Kanes „Gesäubert“ oder Beethovens „Fidelio“, Franz Schrekers „Die Gezeichneten“ an der Oper. Seine Sicht auf Shakespeares „Hamlet“ mit einem ziemlich nölenden Samuel Weiß in der Titelrolle wurde auch bei den Salzburger Festspielen gezeigt.

Das Intendantenkarussell dreht sich weiter

1999 wurde Kusej mit den am Hamburger Thalia Theater inszenierten „Geschichten aus dem Wiener Wald“ von Horváth zum Berliner Theatertreffen eingeladen. 2001 und 2009 war er in Berlin mit Burgtheater-Inszenierungen vertreten (Schönherrs „Glaube und Heimat“, Nestroys „Weibsteufel“). Für eine Theatertreffen-Einladung hatte es in Stuttgart nicht gereicht. Auch nicht, als er 1996 im Schauspielhaus den grandiosen „King Arthur“ von Purcell zeigte. Mit der Koproduktion von Schauspiel, Oper und Ballett begann seine Opernregisseurskarriere. Häufig arbeitete er da, wie im Theater auch, mit dem Bühnenbildner Martin Zehetgruber zusammen. Dafür wird er wohl in nächster Zeit wenig Muße haben. Der Start in Wien ist 2019 – das ist, in Intendanzzeiten gemessen, übermorgen. „Nach meiner Arbeit als Regisseur an der Burg zwischen 1999 und 2008 war es eine gute Erfahrung für mich, Ende letzten Jahres nach inzwischen acht Jahren für ‚Hexenjagd‘ wieder an dieses Haus zurückzukehren“, sagt Martin Kusej nun zu seiner Entscheidung. „Es war ein offener Empfang der Burg-Mitarbeiter, diese neuerliche Begegnung fand auf hohem künstlerischem Niveau und in angenehm offener Atmosphäre statt. Jetzt freue ich mich darauf, ein neues, spannendes Kapitel in der Geschichte des Burgtheaters schreiben zu können.“ Wie er dieses Kapitel gestaltet, darauf darf man gespannt sein. Auch darauf, wie die Theatergeschichte in München weitergeht. Falls Matthias Lilienthal seinen Vertrag an den Kammerspielen nicht verlängert, stehen beide Häuser demnächst vor einem Neustart. Das Intendantenkarussell dreht sich jedenfalls rasant weiter.