Volker Wieker Foto: dpa

Generalinspektor Wieker zur Sicherheitslage in Afghanistan und zum politischen Rückhalt.

Berlin - Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Volker Wieker, will die Effizienz der Streitkräfte verbessern, um mehr Soldaten für Einsätze zur Verfügung zu haben. Die afghanischen Streitkräfte sieht er künftig in der Lage, sich auch nach einem Abzug der Nato-Truppen gegen die Taliban zu behaupten.
Herr General, taugt die geplante Neuausrichtung der Bundeswehr zum effizienten Umbau der Truppe?

Ich gehöre nicht zu jenen, die zu einer Überhöhung von Reformprojekten neigen. Aber wir müssen gleichzeitig Umbau, Grundbetrieb und Unterstützung der Auslandseinsätze gewährleisten. Zusätzlich haben wir die verpflichtende Einberufung zum Wehrdienst ausgesetzt, und der Personalkörper muss umstrukturiert werden. Es besteht die Gefahr, dass wir perspektivisch überaltern, was mittelfristig die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte gefährden würde. Aus diesem Grund müssen wir also ein nachhaltig ausgewogenes Verhältnis finden, junge Soldaten einzustellen sowie ältere, soweit notwendig, in andere Bereiche zu überführen, damit wir die Streitkräfte insgesamt verjüngen.

Die Ansage lautet: Die Bundeswehr soll künftig von allem weniger machen – warum spezialisiert sie sich nicht, um die Durchhaltefähigkeit zu stärken?
Unser Fähigkeitsprofil lautet sehr gezielt „Breite vor Tiefe“. Das hängt mit der mangelnden Vorhersehbarkeit künftiger Entwicklungen zusammen. Daher taugen die gegenwärtigen Einsätze allein nicht als Blaupause, um damit Strukturen für unsere künftige Aufstellung zu schaffen. Wir nehmen keine Einschnitte an der Durchhaltefähigkeit vor, sondern verbessern die Effizienz der Streitkräfte. Dadurch können wir mehr einsetzbare Kräfte verfügbar machen.

Würde es die Effizienz nicht schon steigern, wenn Sie weniger personellen Ballast mit in die Einsätze nähmen und sich auf die Einsatzaufgaben konzentrieren könnten? Frauenbeauftragte beispielsweise sind in der Kaserne wichtig – aber im Auslandseinsatz?
Wir schleppen keinen Ballast mit. Wir konfigurieren unsere Kontingente so, wie es der Auftrag erfordert – um das Spektrum an Aufgaben erfüllen zu können, das sich uns stellt.

Wem hilft es, wenn von 5000 Bundeswehrsoldaten im Afghanistan-Einsatz nur 500 aus dem deutschen Feldlager herauskommen?
Wir haben knapp die Hälfte des Personals im operativen Einsatz – in und außerhalb der Feldlager. Damit stehen wir im internationalen Bereich sehr gut da. Wir brauchen aber auch eine solide logistische Peripherie, die eine solche operative Aufstellung unterstützt – zumal in einem Einsatzgebiet, das 5000 Kilometer entfernt liegt wie Afghanistan.

Wie viele Spezialkräfte-Operationen hat es 2011 im deutschen Zuständigkeitskommando Nordafghanistan gegeben?
Wir unterscheiden zwischen Spezialkräfte-Operationen unter Führung und Verantwortung der internationalen Afghanistan-Schutztruppe Isaf, unter US-Verantwortung und jenen im Antiterrorkampf. Ich kann die Zahl dieser Einzeloperationen nicht nennen, aber sie liegt insgesamt im unteren dreistelligen Bereich.

Und die USA dort berichten dem deutschen General brav über gezielte Aktionen gegen Aufständische?
Alle Zugriffe dieser Art sind eng abgestimmt mit den Regionalkommandos, die die Raumverantwortung tragen.

Wird die Lage für die Bundeswehr heikler, wenn die Amerikaner auch in ihrem Zuständigkeitsbereich Truppen verlagern oder abziehen?
Nein. Die Reduzierung erfolgt nach Lagebewertung und in enger Abstimmung mit uns.

Ahnen Sie schon, was die Bundeswehr auffangen muss, wenn die USA ihre Ausrüstung woanders brauchen?
Der Abzug bezieht sich auf die Anzahl der Soldaten, nicht auf die Fähigkeiten der Amerikaner. Die notwendigen Kräfte werden in einem ausgewogenen und abgestimmten Umfang und Kräftemix verbleiben.

Die afghanische Armee soll höherwertiger und kampfkräftiger werden, wofür die Bundeswehr wiederum hochmobile und kampfstarke Reaktionskräfte bereitstellt. Bringt die Bundeswehr den Afghanen auf den letzten Metern einen hoch spezialisierten Kampfeinsatz gegen Taliban bei?
Zuerst wurden die Afghanen in den Ausbildungseinrichtungen trainiert; dann wurden diese Kräfte operativ angeleitet und eingesetzt. Zuletzt haben wir sie mit unseren eigenen Truppen verzahnt. Die Rückentwicklung sieht nun so aus, dass wir am Ende nur noch die Ausbilder ausbilden. Wir wollen die Eigenständigkeit der afghanischen Armee erreichen. Darum nehmen wir unsere eigene Rolle in der Operationsführung zurück, verstärken aber den unterstützenden Anteil: Es geht hauptsächlich um Aufklärung – elektronisch und aus der Luft – um Logistik, Führungsunterstützung und schließlich Ausbildungsunterstützung und finanzielle Unterstützung.

Die USA wollen in Afghanistan bleiben und verhandeln bilateral über den Aufbau der afghanischen Luftwaffe und Stützpunkte an der pakistanischen Grenze – geht es nicht längst um die militärstrategische Kontrolle Pakistans?
Pakistan spielt eine Rolle, weil die in Afghanistan agierenden Taliban nachhaltig aus deren Stammesgebieten in der Grenzregion unterstützt werden. Das muss bilateral verhandelt werden und ist Aufgabe des souveränen Afghanistans. Hier können wir nur beratend unterstützen – wenn von den Afghanen gewünscht.

Wie optimistisch sind Sie, dass die Zeit für den Abzug aus Afghanistan wirklich reif ist?
Ich sehe die Debatte um die Reduzierung auf die Verringerung an sich verengt. Meines Erachtens findet zu wenig Berücksichtigung, dass tatsächlich vielfältige Fortschritte erzielt wurden, auch durch die strategische Neuausrichtung der Nato in Afghanistan.

Woran machen Sie diese Fortschritte fest?
Wir haben in diesem Jahr landesweit einen Rückgang der sicherheitsrelevanten Vorfälle um ein Viertel. Im Norden, im Verantwortungsbereich der Bundeswehr, sind sie sogar um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Auch die Veränderung der Übergriffe hin zu mehr Anschlägen zeigt doch nur, dass die Aufständischen ihre Taktik ändern, weil sie nicht mehr in der Lage sind, sich uns zu stellen. Genau das ist die Errungenschaft, die erst die Voraussetzungen schafft für den Abzug bis 2014.

Ist es nicht vielmehr so, dass die Gegenseite, die den Zeitpunkt unseres Abzugs kennt, jetzt ihre Kräfte schont, bis in Afghanistan die Karten ohne uns neu gemischt werden?
Das wäre zutreffend, wenn Sie den Blickwinkel auf das Engagement der Nato verengen würden. Tatsächlich wachsen die afghanischen Streitkräfte in der Zeit, in der wir als Isaf Räume nehmen und halten können, zu einer Stärke auf, in der sie das selber können. Das heißt, die Unumkehrbarkeit dieses Prozesses ist nicht in der Isaf-Schutztruppe begründet, sondern im Aufwuchs der afghanischen Streitkräfte. Das wissen die Aufständischen auch. Je mehr die Bevölkerung erkennt, dass die afghanischen Kräfte die Sicherheit selber garantieren können, desto weniger umkehrbar wird dieser Prozess.

Heißt das definitiv, es werden dann keine deutschen Kampftruppen mehr in Afghanistan sein?
Der Begriff Kampftruppen ist an dieser Stelle irreführend. Wenn Sie einen Ausbilder aus der Infanterie einsetzen, dann bleibt er natürlich ein Soldat aus der Kampftruppe. Er wird dann aber in einer ganz anderen Rolle eingesetzt. Wir setzen nach 2014 keine kämpfenden Einheiten und Verbände mehr ein. Das macht den Unterschied, und hier muss man mal mit den Missverständnissen aufräumen.

Inzwischen schöpft Afghanistan neun Prozent seiner Wirtschaftsleistung aus dem Opiumhandel; die Taliban finanzieren sich ebenfalls daraus. Eine Kapitulationserklärung der Isaf?
Diese Schattenwirtschaft ist nicht Bestandteil der Wirtschaftsleistung, sie hat nur die von Ihnen beschriebene Größenordnung. Sie in den Griff zu bekommen liegt in Verantwortung Afghanistans. Ich warne davor, hier für uns eine Führungsverantwortung zu reklamieren. Afghanistan selbst muss Strukturen aufbauen, die den Mohnbauern andere Existenzgrundlagen eröffnen und den Drogenhandel unterbinden.

Aus der in Afghanistan eingesetzten Truppe dringt immer wieder der Vorwurf, Hinweise auf Mängel in Ausbildung und Ausrüstung blieben ohne Wirkung. Sind Sie mit Art und Tempo zufrieden, in denen solche Hinweise in der Bundeswehr nachgearbeitet werden?
Hier ist eine erhebliche Beschleunigung eingetreten. Häufig ist es so, dass sich solche Klagen auf Einsätze in der Vergangenheit beziehen. Es ist uns in sehr großem Umfang gelungen, die Ausrüstung im Einsatz zu verbessern. Sicher noch nicht in dem Maße, dass wir alles Material auch in ausreichender Anzahl in der einsatzvorbereitenden Ausbildung zur Verfügung stellen können. Insgesamt kann ich aber sagen, dass sich dieser Bereich in den vergangenen eineinhalb Jahren signifikant verbessert hat. Allein die Zahl der geschützten Fahrzeuge wurde in diesem Zeitraum um mehr als 40 Prozent erhöht. Wir haben außerdem u. a. die Nachtsichtfähigkeit und die persönliche Ausrüstung verbessert. Auch die Einrüstung von gepanzerten Fahrzeugen mit Waffenstationen hat inzwischen eine Fahrt aufgenommen, mit der ich sehr zufrieden bin. Wenn Sie auf diesem Gebiet einen Vergleich zwischen allen Nationen in diesem Einsatz ziehen, dann liegen wir zweifellos in der Spitzengruppe. Das bedeutet aber nicht, dass wir damit zufrieden sein können. Wir haben noch weiteren Handlungsbedarf, wie zum Beispiel bei den Hubschraubern. Daran arbeiten wir.

Der Bundestag behält sich vor, über jede Verlängerung des Afghanistan-Mandats abzustimmen. Nervt Sie der Vorrang der Politik vor dem Militär in den Einsätzen?
Der nervt mich überhaupt nicht. Parlamentarische Kontrolle heißt schließlich auch parlamentarische Unterstützung. Wenn Sie auf 2011 zurückblicken und sehen, was nicht zuletzt durch Initiativen aus dem Parlament für die Soldaten erreicht wurde, dann kann ich damit nur sehr zufrieden sein.