Ursula von der Leyen bei einem Besuch bei den Gebirgsjägern in Bad Reichenhall. Foto: dpa

Die Bundeswehr kommt nicht zur Ruhe. Schon wieder gibt es Schlagzeilen über Fehlverhalten und Verstöße bei einer Eliteeinheit. Diesmal stehen die Gebirgsjäger in Bad Reichenhall im Zentrum. Der Vorwurf lautet auf Mobbing, sexuelle Belästigung und Nötigung.

Berlin - Die Bundeswehr kommt nicht zur Ruhe. Nur wenige Wochen nachdem das Ausbildungszentrum für Spezielle Operationen in Pfullendorf wegen missglückten Aufnahmeritualen und sexuell anzüglichen Praktiken bei der Ausbildung von Sanitätern in die Schlagzeilen geraten ist, musste das Verteidigungsministerium den Bundestag erneut über Verstöße gegen die Prinzipien der inneren Führung und sexuelle Übergriffe bei der Truppe informieren.

Diesmal geht es um die 4. Kompanie des Gebirgsjägerbataillons 231 in Bad Reichenhall. Dort ist ein männlicher Obergefreiter zwischen November 2015 und September 2016 offenbar mehrfach diskriminiert, verbal und tätlich sexuell belästigt und genötigt worden. Darüber hat Verteidigungsstaatssekretär Markus Grübel den Verteidigungsausschuss brieflich informiert. Was dem Obergefreiten G. konkret zugestoßen ist, war gestern nicht in Erfahrung zu bringen. Das Verteidigungsministerium teilte keine Einzelheiten mit, die Gebirgsjäger in Bad Reichenhall verwiesen Medienanfragen an die ihnen übergeordneten 10. Panzerdivision; die dortige Pressestelle wartete am Dienstag noch auf Informationen vom Kommando Heer und konnte keine Fragen beantworten.

Ermittlungen wegen Sexualdelikten, Volksverhetzung und Verstoß gegen den Tierschutz

Das Verteidigungsministerium beschreibt die Vorgänge in Bad Reichenhall als weniger gravierend als den Skandal in Pfullendorf. Laut dem Brief laufen Ermittlungen gegen 14 Beschuldigte – zwei Feldwebel, zwei Unteroffiziere und zehn Mannschaftssoldaten, die alle der gleichen Teileinheit bei den Gebirgsjägern angehörten. Der Führer dieser Teileinheit sei bereits Mitte Dezember abgelöst worden. Laut Ministerium sorgt der Nachfolger gemeinsam mit der Kompanie- und Bataillonsführung für die Beachtung der geltenden Regeln. Ihnen wird ein umsichtiges und konsequentes Vorgehen bescheinigt. In Pfullendorf waren im Zuge der Ermittlungen hingegen mafiöse Strukturen am gesamten Ausbildungszentrum aufgedeckt worden.

Der Obergefreite G. hat sich nachträglich, am 5.Oktober 2016 an den Wehrbeauftragten gewandt. Die Staatsanwaltschaft Traunstein bestätigte Ermittlungen gegenüber vier Personen. Einem Bundeswehrangehörigen werden Mobbing und sexualbezogene Verfehlungen vorgeworfen. Gegen drei weitere Bundeswehrangehörige werde wegen Volksverhetzung und Verstoß gegen das Tierschutzgesetz ermittelt, die auf den gleichen Beschwerdeführer zurückgehen.

Linke kritisiert systemische Probleme

Nach dem Skandal in Pfullendorf hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen angekündigt, nachzuforschen, ob es in der Truppe weitere ähnliche Verstöße gegen die Führungs- und Verhaltensprinzipien gegeben hat. Zahlen wurden bisher nicht vorgelegt. Mittlerweile mehren sich aber die Anzeichen, dass es nicht nur um Einzelfälle geht – gerade bei sexuellen Übergriffen. Der Wehrbericht listet 131 Vorfälle wegen des Verdachts auf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung auf; im Jahr zuvor waren es noch 86. In einer 2014 von Ministerin von der Leyen vorgestellten Studie „Truppendienst ohne Dame“ gaben 55 Prozent der Soldatinnen an, mindestens einmal sexuelle Belästigung erlebt zu haben.

SPD und Grüne halten Informationspolitik für ungenügend

„Die sexuellen Übergriffe bei den Gebirgsjägern in Bad Reichenhall offenbaren ein systemisches Problem bei der Bundeswehr“, erklärt Christine Buchholz, verteidigungspolitische Sprecherin der Linken. Rainer Arnold (SPD) stuft das ähnlich ein: „In der Truppe ist noch nicht überall angekommen, dass der gute Soldat Missstände meldet. Außerdem haben offenbar Kampfverbände im Heer ein falsches Verständnis von Kameradschaft.“ Er moniert wie Agnieszka Brugger (Grüne) die Informationspolitik von Ministerium und Wehrbeauftragtem. „Es ist völlig unangemessen, die Abgeordneten nur widerwillig und scheibchenweise über solch schwerwiegenden Vorgänge in Kenntnis zu setzen“, kritisierte Brugger. Beim Gespräch mit dem Wehrbeauftragten am Mittwoch will Arnold „auf einen Mechanismus dringen, nach dem Ministerium und Wehrbeauftragter über solche Fälle informieren“.

Zum aktuellen Fall schwieg Ministerin von der Leyen. Sie knöpfte sich stattdessen in einem offenen Brief einen Staatsanwalt vor, der Ermittlungen wegen der sexuellen Belästigung einer Soldatin mit einer in den Augen der Ministerin unangemessenen Begründung eingestellt hatte. Davon grenzt sie sich demonstrativ ab. Der Fall ist offenbar zwei Jahre alt, Einzelheiten zu Ort und Tatvorwurf nennt von der Leyen nicht.