Brigadegeneral Markus Laubenthal leitet eine Besprechung mit US-Offizieren im Hauptquartier der US-Army in Wiesbaden. Foto: US-Army

Das gab es noch nie: Der Befehlshaber des US-Heeres in Europa setzt auf einen Deutschen als rechte Hand. Der führt das nationale Hauptquartier der Amerikaner in Wiesbaden. Nicht nur die Ukraine-Krise beschäftigt ihn heftig.

Wiesbaden - Wer den deutschen Brigadegeneral Markus Laubenthal in der Clay-Kaserne aufsucht, sieht erst einmal nur amerikanische Uniformen: Vor einer Glastür kontrollieren zwei Militärpolizisten die Ausweise. Dahinter, im weitläufigen Vorzimmer des Chefs des Stabes im Hauptquartier des US-Heeres in Europa (Usareur), sitzen sechs Soldaten im Tarnanzug.

Den trägt auch Laubenthal. Aber einen mit deutschem Flecktarn-Muster und deutschen Abzeichen. Nur das Wappen auf dem rechten Oberarm – ein von Flammen umzüngeltes Schwert – verrät die Zugehörigkeit zur US-Army. Der General, groß und kräftig gebaut, spricht genauso schnell auf Englisch wie auf Deutsch. Auch sein Eck-Büro mit dem schweren rot-braunen Mobiliar ist eine Mischung aus amerikanischem und deutschem Offizierbüro: Hinter dem Schreibtisch prangt zwischen einer großen deutschen Flagge und einer amerikanischen das US-Motto: „Strong Europe“, starkes Europa. An den Wänden zahlreiche Fotos von früheren Bundeswehreinsätzen auf dem Balkan und in Afghanistan. Auf der Fensterbank rote Stander, die an frühere Aufgaben in der deutschen Panzertruppe erinnern.

Als bloßes Symbol für die – zuletzt wegen der NSA-Affäre arg in Mitleidenschaft gezogene – deutsch-amerikanische Freundschaft will sich Laubenthal nicht verstanden wissen. Der 52-Jährige arbeitet als rechte Hand von Generalleutnant Ben Hodges, Kommandeur des US-Heeres in Europa. Laubenthal, den sie im Hauptquartier einfach „chief“, den Chef, nennen, hält bei allen Themen für Hodges die Fäden zusammen. Das sind besonders viele in Zeiten der russischen Aggression in der Ukraine und zahlreicher Manöver von USA und Nato zur Beruhigung der Verbündeten im Baltikum und in Osteuropa.

Allein in diesem Jahr plant die US-Army mehr als 50 Übungen mit 38 Staaten. Die 1200 Soldaten und Zivilisten in Wiesbaden verwalten 2015 ein Budget von umgerechnet 1,3 Milliarden Euro. Hinzu kommen dank Präsident Barack Obamas „Europäischer Rückversicherungsinitiative“ noch einmal 360 Millionen Euro. „Die Amerikaner sind in Europa nicht zu ersetzen“, sagt Laubenthal. „Und wir wollen sie auch dabei haben.“

Aus dem Hauptquartier, bis 2013 in Heidelberg, befehligten schon so berühmte Generäle wie Dwight D. Eisenhower amerikanische Heerestruppen in Europa. Bis heute versteht man sich hier als Brücke zu den Verbündeten. Doch diese Brücke wurde in der jüngsten Vergangenheit immer stärker zurückgebaut. So sehr, dass noch Anfang 2012 ein früherer Army-Kommandeur in aller Öffentlichkeit vor der Aushöhlung der US-Präsenz in der Alten Welt warnte. Von den 300 000 US-Soldaten auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges hat das Heer heute nur noch gut 30 000 in Europa stationiert, die große Mehrzahl davon in Deutschland.

Doch in der Krise mit Russland erlebt dieses Hauptquartier fast so etwas wie einen zweiten Frühling. Überall in den Stäben und in den Gesprächen mit den US-Offizieren, von denen viele schon mehrmals in Deutschland stationiert waren oder gar deutsche Ehefrauen haben, ist die neue Energie mit Händen zu greifen. „In Deutschland im Herzen Europas stationiert zu sein, ist entscheidend“, sagt Dan MacCormack. Der Mann in Zivil ist im Stab zuständig für Strategie. Ihm ist klar, dass die Herausforderung durch Russlands Präsident Wladimir Putin nicht ohne Antwort bleiben darf. „Aber dies ist nicht vorrangig ein militärisches Problem“, betont er. Die US-Präsenz bleibe leicht und mobil. „Mit 30 000 Mann den Effekt von 300 000 erzielen“, lautet das geflügelte Wort auf den Korridoren in Wiesbaden. Die Unterstützungskräfte in Europa, erklärt MacCormack, ermöglichten die Integration von aus den USA nach Europa entsandten Truppen mit Nato-Kräften. Das Personal im Wiesbadener Hauptquartier soll aber weiter schrumpfen.

Die Idee mit einem in das US-Hauptquartier eingebetteten deutschen Chef des Stabes hatten die Amerikaner schon vor Jahren. Der Heereschef in Washington wollte damit die Verzahnung von ausgedünntem US-Militär und Nato-Verbündeten vorantreiben. Und von deutscher Seite erkannte man die Chance, auch jenseits gemeinsamer Einsätze wieder enger mit den Amerikanern zusammenzuarbeiten. Mit seiner großen Nähe zu den Amerikanern schien der in Aachen geborene Laubenthal, der am Wochenende nach Kerpen zur Familie pendelt, der perfekte Mann: Als Kommandeur der Panzerbrigade 12 in Amberg hatte er eine enge Partnerschaft mit dem 2. US-Kavallerie-Regiment in Vilseck gepflegt.

Aber bekommt der deutsche Stabschef auch all die Informationen, wie sie ein Amerikaner auf seinem Posten bekäme? Normalerweise legen die Amerikaner auf nationale Souveränität und Geheimhaltung größten Wert. Doch mit der Direktive „Share until you sweat“ (Teile, bis Du anfängst zu schwitzen) an seine Mitarbeiter hat der Befehlshaber Laubenthals Zugang zu Informationen des US-Militärs sehr weiträumig abgesteckt. „Ich vertraue ihm zu 110 Prozent“, versichert Hodges am Telefon. Er erfahre für seine Arbeit alles, was in dem US-Stab vor sich gehe, betont der Deutsche selbst, es gebe keine Parallelstrukturen.

Seine Einbindung geht so weit, dass er die persönlichen Beurteilungen über ihm untergebene, ranghohe US-Offiziere schreibt. Beurteilungen, die wesentlichen Einfluss darauf haben werden, welchen weiteren Weg die Karrieren dieser Soldatinnen und Soldaten nehmen. „Das ist ein klarer Anhaltspunkt dafür, ob ich hier wirklich eingebunden bin“, unterstreicht Laubenthal.

Und was funktioniert bei der Army anders als im deutschen Heer? In das Haushaltsrecht und Personalwesen musste er sich komplett neu einarbeiten, erzählt der Ein-Stern-General. In deutschen Stäben gehe es „etwas verwaltungsmäßiger und breiter abgestimmt“ zu, dafür werde bei den Amerikanern viel schneller gearbeitet. „Mit dieser Geschwindigkeit kehre ich irgendwann in die Bundeswehr zurück“, meint Laubenthal schmunzelnd.

Einmal die Woche, normalerweise am Donnerstagmorgen, herrscht Hochbetrieb im „John M. Shalikashvili Mission Command Center“, der riesigen, hoch modernen, rund um die Uhr besetzten Operationszentrale des Hauptquartiers in Wiesbaden. Dann ist die Hälfte der 130 Computerarbeitsplätze mit Soldaten, Geheimdienstlern und zivilen Spezialisten besetzt. Im Beisein seines deutschen Stabschefs schaltet sich US-General Hodges meist von unterwegs per Videolink über einen der riesigen Bildschirme zu. Die US-Kommandeure, die mit ihren Kompanien oder Bataillonen von Estland bis nach Bulgarien verstreut sind, berichten dann etwa über die Erfahrungen beim Transport von Hubschraubern und Geschützen von Bremerhaven ins Baltikum oder bei Manövern mit den Verbündeten in Rumänien.

„Die wüstenfarbenen Panzer werden wieder tarngrün umgespritzt“, sagt ein US-Offizier bei einem der morgendlichen Briefings. „Wir sind hier, um zu bleiben.“ Und das ist das beabsichtigte Signal dieser ständig rotierenden, aber nicht dauerhaften Militärpräsenz der Amerikaner und anderer Nato-Mitglieder, auch der Deutschen: Den Verbündeten im Osten Europas soll bedeutet werden, dass sie nicht alleine stehen.

Aber lässt Putin sich von diesen kleinen Verbänden wirklich abschrecken? „Die Physik ist unbestechlich“, sagt Brigadegeneral Laubenthal. Aber dennoch: „Es ist ein deutliches Zeichen der Entschlossenheit im Bündnis.“