Der Vorsitzende des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, verkündet am Mittwoch das Urteil über die Mitsprache des Bundestages bei Auslandseinsätzen. Foto: dpa

Exklusiv - Die obersten Richter in Karlsruhe haben entschieden: Eine nachträgliche Abstimmung im Bundestag über den Rettungseinsatz in Libyen im Februar 2011 ist nicht nötig. Dennoch: Das Urteil stärkt das Mitspracherecht des Parlaments.

Karlsruhe - Wieviel Handlungsspielraum hat die deutsche Regierung, wenn wirklich einmal Gefahr im Verzug ist? Relativ viel, das hat zumindest am Mittwoch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe geurteilt. Obwohl die Grünen mit ihrer Klage vor dem obersten Gericht gescheitert sind, haben die Richter mit ihrem Urteil das Mitspracherecht des Parlaments bei Auslandseinsätzen konkretisiert (Az.: 2 BvE 6/11).

Die Fraktion der Bundestagsgrünen hatte in Karlsruhe Klage eingereicht gegen den Einsatz der Bundeswehr im Bürgerkriegsland Libyen. Im Februar 2011 hatten deutsche Fallschirmjäger in der Operation „Pegasus“ 262 Menschen von dem nordlibyschen Erdölfeld Nafurah ausgeflogen, unter ihnen 125 Deutsche. Die Grünen hatten geklagt, weil das Parlament in diesem Fall nicht einmal nachträglich von der schwarz-gelben Bundesregierung zu dem Einsatz befragt worden war.

„Es ist erfreulich, Karlsruhe auf unserer Seite zu wissen, wenn es um die parlamentarische Kontrolle der Armee geht“, sagte Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen am Mittwoch den Stuttgarter Nachrichten. „Allerdings hätten wir uns natürlich im Grundsatz ein anderes Urteil gewünscht.“ Der Fraktion sei es darum gegangen, dass im konkreten Fall eine nachträgliche Mandatierung durch den Bundestag hätte geschehen müssen. Aus Bundeswehrkreisen heißt es, dass es schlicht Glück gewesen ist, dass es bei dem Einsatz zu keinem Feuergefecht gekommen ist.

"Bei Gefahr in Verzug nicht erst noch 630 Abgeordnete anrufen"

Dass schnell gehandelt werden musste, sei nicht der Punkt, räumt Nouripour ein. „Natürlich muss man bei Gefahr in Verzug schnell evakuieren und nicht erst noch 630 Abgeordnete anrufen. Das ist überhaupt keine Frage. Und wir hätten dem Evakuierungseinsatz in Libyen nachträglich zugestimmt.“

Der Einsatz in der Libyschen Wüste war relativ kurz. Bereits 45 Minuten nach der Landung waren die Transall-Maschinen mit den Geretteten wieder in der Luft. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz, das im März 2005 unter Rot-Grün erlassen wurde, besagt, dass die Bundesregierung vor einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland einen Antrag an den Bundestag stellen muss. Nur wenn „Gefahr im Verzug“ besteht oder Menschen aus besonderen Gefahrenlagen gerettet werden müssen, reicht eine nachträgliche Zustimmung des Bundestages aus. Genau diese hatten die Grünen im Fall des Libyeneinsatzes eingeklagt.

Nach Beendigung einer Aktion mache eine nachträgliche Abstimmung des Parlaments keinen Sinn mehr, erläuterten die Karlsruher Richter am Mittwoch. Die Bundesregierung ist dazu nicht verpflichtet. Allerdings müsse sie die Abgeordneten „umgehend und ausführlich“ über den Einsatz informieren. In ihrem Urteil konkretisierten die Richter, was unter einem „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte“ zu verstehen ist. So erfordere auch eine „humanitäre Zielsetzung“ die Zustimmung des Parlaments. Und auch „Einsätze, die erkennbar von geringer Intensität und Tragweite“ sind, bedürften der Abstimmung im Bundestag.

So, wie das Gesetz formuliert ist, reicht es Nouripour. „Ich wünsche mir einfach, dass es so auch umgesetzt wird.“ Auch wenn die Grünen vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert sind, konnten sie inhaltlich doch einen kleinen Sieg erringen. Und, so Nouripour: „Wir werden weiter gegen alle Versuche der Koalition, die parlamentarische Kontrolle der Armee auszuhebeln, vorgehen.“