Heike Baehrens (Zweite von rechts) bangt um ihren Wiedereinzug. Foto: Michael Steinert

Nach einer vergeblichen Kandidatur vor vier Jahren gelingt dem Uhinger Volker Münz (AfD) der Einzug über die Landesliste. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Heike Baehrens muss lange auf ihr Ergebnis warten.

Kreis Göppingen - Die Welt ist in Ordnung für Volker Münz und seine Anhänger als um 18 Uhr die ersten Hochrechnungen in der Frisch-Auf-Gaststätte in Göppingen über die Leinwand flimmern. Der AfD-Kandidat für den Kreis Göppingen geht fest davon aus, dass sein Platz in Berlin sicher ist – schließlich belegt er Platz acht der Landesliste und die Hochrechnungen sehen seine Partei bei 13,2 Prozent.

Stimmung kommt in der Gaststätte vorläufig trotzdem nicht auf – die meisten Parteimitglieder sind noch im Kreis unterwegs und schauen den Wahlhelfern auf die Finger. Sandro Scheer etwa, der sich den AfD-Kreisvorsitz mit Münz teilt, ist im Göppinger Rathaus und beobachtet, wie sieben Wahlhelfer den Wahlbezirk 55 auszählen, die Briefwähler. Nein, versichert Scheer, er misstraue den Wahlhelfern keinesfalls. „Aber wir wollen uns das trotzdem genau anschauen.“ Eigentlich hatte die AfD angekündigt, Münz würde als Wahlbeobachter ins Rathaus gehen. Doch der angehende Abgeordnete hat sich kurzfristig anders entschieden.

Münz ist auf der Suche nach einem Büro in Göppingen

Je weiter der Abend fortschreitet, desto ausgelassener wird die Stimmung bei den AfD-Anhängern. Von 20 Uhr an treffen immer mehr Wahlbeobachter ein. Der erste Weg führt alle zu Münz. Unter den Gratulanten ist auch ein AfD-Neumitglied, um das es auf der politischen Bühne in Göppingen zuletzt still geworden ist: Der frühere Baubürgermeister Joachim Hülscher, der für die Freien Wähler im Gemeinde- und Regionalrat saß, hat vor einiger Zeit das Parteibuch gewechselt. Er rennt strahlend auf „unseren Mann in Berlin“ zu, schüttelt ihm die Hand und klopft Münz so fest auf den Rücken, dass dieser kurz wankt.

Zwischen den Glückwünschen berichtet Münz, dass er sein Wahlkreisbüro auf jeden Fall in Göppingen haben möchte und bereits mit Vermietern im Gespräch sei. Auch über seine Zukunft in Berlin hat sich der Diplomökonom, der bisher für die Hypovereinsbank tätig war, Gedanken gemacht: Er wolle im Entwicklungshilfeausschuss mitarbeiten, um dafür zu sorgen, dass die Menschen keinen Grund mehr hätten, nach Deutschland zu kommen. Seine Anhänger spekulieren derweil, ob Münz es geschafft hat, die SPD-Kandidatin Heike Baehrens bei den Erststimmen zu übetrumpfen. Doch so erfolgreich ist der AfD-Mann dann doch nicht. Selbst in seiner Heimatstadt Uhingen, wo er 18,6 Prozent geholt hat, liegt Baehrens mit 23,8 noch vor ihm. Kreisweit holte er schließlich 14,5 Prozent.

Am Mittag Hochzeitstag, am Abend Wahltag

Für Heike Baehrens ist es ein bitterer Abend an einem besonderen Tag. Mittags hat die Bundestagsabgeordnete der SPD noch im Kreise der Familie mit ihrem Mann ihren 40. Hochzeitstag bei einem Mittagessen in der Alten Post in Kuchen gefeiert. Nun steht sie im SPD-Bürgerbüro im Göppinger Roth-Carée und mag ihren Augen nicht trauen angesichts des desaströsen Abschneidens ihrer Partei.

„Wir machen doch Politik für die Zukunft und haben in Berlin viele gute Gesetze zum Mindestlohn und rund um die Pflege auf den Weg gebracht“, versucht die Stuttgarterin die Arbeit in der Großen Koalition mit der CDU zu rechtfertigen. Für Baehrens liegt es angesichts des enttäuschenden Ergebnisses auf der Hand, dass die Menschen den Sozialdemokraten immer noch die Reform des deutschen Sozialsystems und Arbeitsmarktes, besser bekannt als Agenda 2010, unter Kanzler Gerhard Schröder nachtragen.

SPD-Mitglieder üben sich in Selbstkritik – und Galgenhumor

Die Fachfrau für Gesundheits- und Pflegepolitik bedauert, das Wirken der Sozialdemokraten in den vergangenen vier Jahren sei bei den Wählern nicht angekommen. Jetzt sei es an der Zeit, mit einem klaren Profil in die Opposition zu gehen. Das versteht Baehrens als einen zutiefst demokratischen Akt.

Als bitter empfindet es die tatkräftige Bundestagsabgeordnete zudem, dass mit dem Einzug der AfD in den Berliner Reichstag dort nun ein rauerer Wind wehen werde. Bereits im Stuttgarter Landtag habe sich gezeigt, dass die AfD keine Politik gestalte.

Auch mit ihrem persönlichen Abschneiden in ihrem Wahlkreis dürfte Baehrens nicht zufrieden sein, die mit 22 Prozent bei den Erststimmen 2,3 Prozent verlor und deren Partei kreisweit 4 Prozentpunkte auf 17,6 Prozent abbaute. Baehrens wusste lange nicht, ob ihr Listenplatz 13 für das Ticket nach Berlin reichen würde. „Vielleicht haben wir die Dinge nicht klar genug kommuniziert“, überlegt der SPD-Fraktionssprecher im Göppinger Gemeinderat, Armin Roos, der ergänzt, es müsse ganz schön was schief gelaufen sein im eigenen Lager, wenn beispielsweise die Forderung nach einem Einwanderungsgesetz nur auf den Wahlplakaten der FDP, nicht aber auf den eigenen aufgetaucht sei. Weniger zerknirscht wirkt der Kommunalpolitiker Peter Ritz aus Eislingen. „Sturmerprobt seit 1863“ prangt auf seinem knallroten SPD-Button, der an das Gründungsjahr der Genossen erinnert.