Anhänger von Angela Merkel feiern das Ergebnis der Bundestagswahl. Foto: Getty Images Europe

Im Amt bestätigt, und doch am Ende: Die Bundestagswahl besiegelt das Aus der Großen Koalition, der zu viele Antworten auf die drängendsten Fragen der kommenden vier Jahre fehlen, kommentiert StN-Chefredakteur Christoph Reisinger.

Stuttgart. - Mal eben so im Amt bestätigt. Das steht als zentrales Ergebnis dieser Bundestagswahl, in der Union und SPD zusammen eine klare Mehrheit im Bundestag behauptet haben. Mit einem Resultat allerdings, das in der Addition beider Parteien der Note Drei bis Vier entspricht. Versetzung ungefährdet, aber alles andere als prickelnd.

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Damit ist die solide schwarz-rote Regierungsleistung zu schlecht bewertet. Aber als Gradmesser der Wähler-Erwartungen an kommende Leistungen von Parteien und Politikern hat die Wahl ein faires Resultat erbracht. Die massiven Dämpfer für die Union, speziell aber für die SPD rühren daher, dass beide Parteien im gesamten Wahlkampf den Eindruck gemacht haben: Wir hatten Rezepte, die uns gut über die Runden gebracht haben; zu den großen Fragen der nahen Zukunft aber fehlen zu viele Antworten. Auf die Digitalisierung der Arbeitswelt ebenso wie auf die Überalterung der Gesellschaft, die Überschuldung des Staates, die Überdehnung der Sozialsysteme, oder die Gefährdungen der inneren wie der äußeren Sicherheit.

Die SPD verweigert sich

Die SPD zieht nun die Konsequenz und verweigert sich einer Fortsetzung der schwarz-roten Koalition. Ihr Absacken trotz eines respektablen Spitzenkandidaten beweist: Es war ein Riesenfehler, Gerechtigkeit in den Mittelpunkt ihres Bundestagswahlkampfs zu rücken. Der weit überwiegende Teil der Bevölkerung sorgt sich wegen der vielen Menschen, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind und mutmaßlich noch kommen werden, wegen unklarer Zukunftsaussichten vieler Berufsbilder und Geschäftsmodelle, wegen der Kriminalität. Die Chancen-Ungleichheit in diesem Land ist hingegen nicht so groß, als dass sie eine wahlentscheidende Rolle hätte spielen können.

Eine zumindest laute Rolle wird die AfD als neue und drittstärkste Kraft im Parlament spielen. Viel weniger noch als Union, SPD, FDP oder Grüne hat sie Antworten auf die großen Zukunftsfragen. Aber mit ihrem Schüren diffuser Wir-sind-nicht-mehr-Herr-im-eigenen-Haus-Ängste und durch ihre Flirts mit dem braunen Schmuddel-Rand ist es ihr gelungen, sich mehr als 13 Prozent der Wähler als vermeintlich einzig wahre Oppositionspartei zu empfehlen. Daran geht die deutsche Demokratie nicht kaputt. Aber es schmückt sie auch nicht, eine AfD auf Nummer drei zu haben.

Kein Ruhekissen für Angela Merkel

AfD, SPD und Linke: Zersplitterter könnte die kommende Opposition nicht sein. Wird die nächste Regierungszeit also ein Ruhekissen für Angela Merkel?

Sicher nicht. Die alte und neue Kanzlerin steht vor einem Jamaika-Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Angefangen beim Versuch einer Regierungsbildung mit FDP und Grünen. Die mit Karacho, vernünftigen wirtschaftspolitischen Ideen und der Ein-Mann-Show des Christian Lindner in den Bundestag zurückkehrende FDP und die Grünen sind sich alles andere als zugetan. Was die Sache für Merkel noch erschwert: CSU-Chef Horst Seehofer wird auf seine Rolle als Bundesoppositionsführer sicher nicht verzichten.

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de