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Verlegung der Bundesstraße könnte Lärmwerte senken – Gewerbepark-Betreiber stellen sich quer.

Bietigheim-Bissingen - Der Auftritt bei der offiziellen Kandidatenvorstellung geriet für Jürgen Kessing zum eher mühsamen Pflichttermin: Seine Rede musste der Bietigheimer Rathauschef im Kronensaal vor fast leeren Rängen halten, einen Gegenkandidaten gibt es nicht. Von Spannung kann in der nach Ludwigsburg zweitgrößten Stadt des Kreises zwei Wochen vor der OB-Wahl keine Rede sein. Obwohl die Christdemokraten zuletzt auf Konfrontationskurs gingen, sitzt der Amtsinhaber mit SPD-Parteibuch fest im Sattel, aussichtsreiche Konkurrenz fand das bürgerliche Lager trotz eifriger Suche nicht.

Spöttische Zungen behaupten längst, dass sich Kessing in Bietigheim nur vor einer erbärmlich schwachen Wahlbeteiligung fürchten muss – und deshalb kurz vor der OB-Wahl ein Thema mit kommunalpolitischem Zündstoff aus dem Hut gezaubert hat. Gemeint ist die Überlegung, die quer durch die Stadt laufende Bundesstraße 27 auf einem Teilstück zu verlegen. Bisher macht die täglich von gut 50 000 Autos und Lkw genutzte Verkehrsader beim Bahnhof einen scharfen Knick, nur um einige Hundert Meter weiter mit einer neuerlichen Kurve wieder abzuschwenken.

Aufnahme ins Fernstraßen-Programm des Bundes nötig

Schon vor Jahren tauchte deshalb die Idee auf, die vierspurige Trasse näher an den bestehenden Bahndamm zu rücken – und den Lärm von Bundesstraße und Zugverkehr an einer Stelle zu bündeln. Zwischen Bahnhof und Innenstadt könnte durch die Verlegung eine verkehrsberuhigte Zone mit Bäumen und großen Fußgängerbereichen entstehen. Charme hat eine neue Trasse aber auch durch die Tatsache, dass bei einer B-27-Verlegung mehrere Kreuzungen überflüssig würden – und der Durchgangsverkehr künftig relativ flüssig durch Bietigheim rollen könnte.

Bisher wurde das auf einen zweistelligen Millionenbetrag taxierte Projekt im Rathaus als Zukunftsmusik betrachtet. Schließlich wäre zur Finanzierung eine Aufnahme ins Fernstraßen-Programm des Bundes nötig – selbst bezahlen könnten die Bietigheimer die Verlegung trotz gefüllter Sparbücher nicht. Bei der Stadtverwaltung ist noch nicht einmal spruchreif, mit welchen Summen zu rechnen wäre. „So weit sind wir längst noch nicht“, so Rathaussprecherin Anette Hochmuth auf Fragen zu den ungefähren Kosten.

Die CDU schäumte

Ein zweites Problem: Um die Bundesstraße an den Bahndamm zu verlegen, müsste sich der amerikanische Konzern Armstrong-DLW von einem Teil seines Betriebsgeländes trennen – die neue Trasse läuft übers Areal des Bodenbelagherstellers. Und: Längst sind auch weitere Betriebe von der Debatte betroffen. Seit der Übernahme der deutschen Linoleum-Werke durch die US-Firma wurde auf einer fünf Hektar großen Teilfläche ein Gewerbepark angesiedelt, auch ein gut besuchtes Fast-Food-Restaurant findet sich auf dem Gelände. Beim Betreiber des Gewerbeparks war nach Bekanntwerden der Rathauspläne deshalb schon von Enteignung die Rede – Bigpark-Geschäftsführer Jens Lück kündigte seinen massiven Widerstand an.

Der Hintergrund: Anfang Februar hatte der Gewerbepark im Rathaus eine Bauvoranfrage für die Errichtung von Parkflächen eingereicht – und damit eigene Ideen fürs bahnhofsnahe Areal dokumentiert. Das Rathaus berief prompt eine Sondersitzung des Gemeinderats ein, sagte das eilige Treffen nach einem Gespräch mit den Bigpark-Managern aber wieder ab. Offenbar konnte Werner Klimpel, der Leiter des Bietigheimer Baurechtsamts, den Firmen verdeutlichen, dass es auf dem 13 Hektar großen Werkgelände im Bahnbogen noch genügend Platz für Dauerparker gibt. Dennoch schäumten die Christdemokraten wegen des Vorstoßes: In einer Stellungnahme warf die CDU-Fraktion dem OB eine „Nacht-und-Nebel-Aktion vor, Kessing wolle Stadtrat und Bevölkerung ohne detaillierte Verkehrsuntersuchung über den Tisch ziehen. Der Rathauschef spricht von einem „Jahrhundertprojekt“ – bis die B 27 aber verlegt werden könne, seien in Bietigheim noch viele Diskussionen nötig.