Bundespräsident Joachim Gauck spricht vor vollbesetzter Schleyerhalle auf dem Kirchentag in Stuttgart Foto: dpa

Alle seien in der Pflicht, Verantwortung für sich und die Gesellschaft zu übernehmen. Die Bürger dürften es sich mit Schelte und Kritik nicht zu leicht machen, sagt Bundespräsident Gauck auf dem Kirchentag.

Stuttgart - Zwei Seelen schlagen in seiner Brust: Als Theologe kann Joachim Gauck dem Soziologen Hartmut Rosa zustimmen, als Politiker muss er ihm total widersprechen. So schwarz, wie der Wissenschaftler aus Jena die Zeit darstelle, sei sie nicht, sagt der Bundespräsident am Donnerstag vor rund 10 000 Zuschauern in der Stuttgarter Schleyerhalle. Das Streben des Kapitalismus nach immer mehr Wachstum und Effizienz verbrauche nicht nur zu viele Rohstoffe, sondern überfordere auch die Menschen, hatte Rosa erklärt. Der zunehmende Zeit- und Leistungsdruck führe dazu, dass ihnen die Zeit für das fehle, was wirklich glücklich mache – Beziehungen im privaten Bereich wie auch bei der Arbeit. Deshalb drohe ein kollektiver Burn-Out.

Eine solche pessimistische Einschätzung fördere den gesellschaftlichen Verdruss weiter, kritisierte Gauck. In Deutschland hätten Menschen „so viel Freiheit, so viel Resonanzräume, so viel Urlaub, so viel Möglichkeiten, so viel politische Freiheiten und so viel Rechtsrechtssicherheit wie noch niemals in der Geschichte dieser Nation“. Natürlich sei es nicht in Ordnung, wenn nur einige wenige - „happy few“ - vom Reichtum profitierten. Aber alle seien in der Pflicht, Verantwortung für sich und die Gesellschaft zu übernehmen. Die Bürger dürften es sich mit Schelte und Kritik nicht zu leicht machen, sagte der Bundespräsident: „Das Problem ist, dass gerade auf den Kirchentagen dieses Element der Sehnsucht nach dem Shalom sich auf eine zu banale Weise in Forderungen an die Politik darstellt.“