Lieber ein Schrecken mit Ende: Littbarski Foto: dapd

Warum die Gedanken der Nacht auch im Fall van Gaal trügerisch sind.

Am 25. Spieltag habe ich viel übers Leben gelernt. Den Satz, jemand mache etwas im Schlaf, hatte ich unterschätzt. Der Schlaf an sich ist wichtiger, als ich Schnarcher dachte. Trotz vieler Versuche, sich dem Phänomen der sogenannten äußeren Ruhe des Menschen zu nähern, hat bisher keiner herausgefunden, wozu man den Schlaf eigentlich braucht. Schlaf ist nicht gleich Schlaf. Den Unterschied zwischen einem Popstar und einem Fußballstar etwa erkennt man an der Reporter-Neugier. Den Fußballtrainer Louis van Gaal hat man vor dem Spiel in Hannover gefragt: Wie haben Sie vergangene Nacht geschlafen? Einen Popstar hätte man gefragt: Mit wem haben Sie vergangene Nacht geschlafen?

Es hat sich viel verändert beim Starclub FC Bayern. Van Gaals Team stand 2010 im Champions-League-Finale gegen Inter Mailand, in der Weltstadt Madrid, wo die Nacht noch nie zum Schlafen da war. Kein Jahr später liest man in der Zeitung, van Gaal bestreite sein "Endspiel" - in Hannover, wo keiner hinkommt, wenn er nicht gerade beim Messebau beschäftigt ist.

Ein Finale, selbst wenn man es gewinnt, ist immer ein wenig wie der Tod. Nach dem Finale fällt man in ein Schwarzes Loch. Das gilt, Fußballer wissen es, verschärft auch für den Sex: Da stirbt man den "kleinen Tod" bereits während des Endspiels. Jeder kennt auch den Satz, der Schlaf sei der kleine Bruder des Todes. Vielleicht aber ist der Tod der kleine Bruder des Schlafs.

Es ist nicht klug, ständig mit philosophischen Weisheiten zu hantieren (ganz egal, ob sie wie im Fall des kleinen Bruders von Schopenhauer oder Homer stammen). Kein anderer hat die Problematik von Leben und Sterben so genau auf den Punkt gebracht wie der letzte große O-Bein-Künstler des Rasens, nämlich der heutige Wolfsburger Cheftrainer Pierre Littbarski. "Lieber ein Ende mit Schrecken", hat er gesagt, "als ein Schrecken mit Ende."

Die trickreiche Sprichwort-Variante "Ein Schrecken mit Ende" ist leider nicht gut für den Fußball: Keine Skandalbranche hofft auf ein Ende des Schreckens. Den Schrecken mit Ende erlebe ich derweil als Besucher der Stuttgarter Kickers: Heute sind wir so tief im Niemandsland, dass wir nicht einmal mehr wissen, was uns Nachtwächter noch schrecken könnte.

Beim FC Bayern ist alles komplizierter. Nicht im Traum möchte man durchmachen, was der große Vorsitzende Rummenigge im realen Schlaf zu bewältigen hat. Als er nach der Endspiel-Pleite von Hannover gefragt wurde, ob van Gaal fliege, sagte Rummenigge: Er müsse erst darüber schlafen. Dann korrigierte er sich: "Wir müssen eine Nacht darüber nachdenken. Schlafen wird keiner können."

Das war nur vordergründig ein guter Plan. Das Leben lehrt uns etwas anderes. "Die Gedanken der Nacht", hat der große Schriftsteller Raymond Chandler gesagt, "halten dem Tageslicht nicht stand." Keiner weiß, wohin einen die Dämonen der Dunkelheit führen. Nicht umsonst sagt der Volksmund: Wer schläft, sündigt nicht. Jedenfalls nicht in der Art, dass man jeden abgründigen Penner dafür verknacken könnte. Schlafentzug dagegen ist bis heute eine weltweit berüchtigte Folter.

Andererseits bringt der Schlaf oft nur ein böses Erwachen. Das konnte man lange beim VfB beobachten. Der Manager Bobic enthüllte gestern im Fernsehen: Bei seinen Spielern hat man schlechte körperliche Werte festgestellt. Könnte daran liegen, dass sie in der Birne nicht ausgeschlafen sind. Oder aber in einem bekannten Etablissement zu oft beigeschlafen haben.

Schlafes Bruder hat viele Gesichter.

Zum Glücke konnte Herr van Gaal nach Hannover eine Nacht lang entspannt darüber nachdenken: Nehme ich erst eine Mütze Schlaf oder gleich meinen Hut?