Stadion am Millentor, FC St. Pauli: Wo das Stadion noch allen gehört. Foto: dpa

Wachstum ohne Grenzen: Der Bundesliga-Fußball düngt nicht mehr den Boden, auf dem er groß geworden ist, schreibt StN-Autor Gunter Barner.

Stuttgart - Die emotional wohl mitreißendste Meldung des 25. Spieltags verlangt das Mitgefühl seiner Geschlechtsgenossen: Kölns Geißbock Hennes VIII., war dieser Tage zu erfahren, hat Ende Januar seine geliebte Anneliese verloren. Und als wäre das nicht schon erschütternd genug, melden gut unterrichtete Kreise, dass Hennes nie Sex mit ihr hatte. Der arme Bock ist kastriert. Weil er ohne Geschlechtstrieb nicht stinkt. Geruchlos passt Hennes eben besser in die parfümierte Welt des Profifußballs.

Nachgerade harmlos nimmt sich dagegen die Versicherung des schwäbisch stämmigen Neo-Nationalspielers Timo Werner aus, der die Fragesteller der „Welt“ mit der Neuigkeit überraschte, dass er noch nie Alkohol konsumiert habe.

Nach einem Krügle Most und dem unverstellten Blick auf den Nachrichtenwert von Hennes und Timo stellt sich allerdings die Frage, was um Himmels Willen aus der sportlichen Einrichtung geworden ist, die sich die Gesellschaft einst gönnte – als sozio-kulturellen Beitrag zur deutschen Nachkriegsgeschichte. Solidarisierend, identitätsstiftend, friedliebend.

Laufende Maßanzüge

Ein von Egomanen beherrschter, nichtsnutziger Wanderzirkus? Das Sinnbild einer zerfallenden Gesellschaft, die ihr Werte, Traditionen und Überzeugungen auf dem Altar der Zweckmäßigkeit opfert? Darf Fußball nicht mehr nur schön sein, sind kurzfristige Erfolge und schnell vermarktete Banalitäten wichtiger als dauerhaft wirksame Konzepte?

Spielerberater kassieren Millionen-Honorar für den scheinbar hoch qualifizierten Akt, einen Vertrag unfallfrei vom Verein A zum Club B zu tragen. Mittelmäßig begabte Profis, die ohne tätige Mithilfe eines Orthopäden hundert Meter geradeaus zu sprinten vermögen, füllen sich die Taschen mit Hilfe von Handgeldern, Einsatzprämien, Fix-Gehältern und Ausstiegsklauseln.

Und was die Entwicklung nicht besser macht: Die laufenden Maßanzüge in den nationalen oder internationalen Fachverbänden sind vom eigentlichen Fußball so weit entfernt, wie Sepp Blatter von seiner Heiligsprechung.

Natürlich verweisen die Turbo-Kapitalisten der Liga mit erhobenem Zeigefinger auf Fragen der internationalen Konkurrenzfähigkeit, auf die üppigen Fernsehverträge in der Premier League. Aber in welchem DFB- oder DFL-Statut steht geschrieben, dass es deutsche Vereine so machen müssen wie die Engländer? Die Elfmeter verschießen, Stehplätze abschaffen, Mondpreise für Stadiontickets verlangen, ihre Vereine an gelangweilte Araber, Russen und Chinesen verhökern, und international trotzdem keinen Blumentopf gewinnen. Die Atmosphäre in englischen Stadien beleidigt inzwischen jede Jahresfeier der örtlichen Leichenbestatter. Reiseveranstalter auf der Insel fliegen nach Hamburg oder Berlin, um englischen Edelfans am Millerntor des FC St. Pauli oder an der Alten Försterei von Union vorzuführen, wie schön es früher war, als der Fußball noch allen Menschen gehörte – nicht nur einigen Investoren.

So betrachtet ist es ein Jammer, dass der SV Darmstadt und der morbide Charme des Böllenfalltors wieder in der zweiten Liga verschwinden und ein Skandal, dass Hannovers Alleinherrscher Martin Kind einen Trainer infrage stellt, dessen einzige Sünde ist, mit Hannover 96 auf dem vierten Tabellenrang zu stehen.

Fußball als Kulturgut

Fußball muss ein Kulturgut bleiben, ein wertvoller und hilfreicher Teil der Gesellschaft. Den Menschen zugewandt und ihnen zutiefst verpflichtet. Bis hinein in den winzigsten Verein und die unbedeutendste Mannschaft. Parteien, Kirchen und Gewerkschaften liefern das Negativ-Beispiel: Sie haben an Rückhalt verloren, weil sie den Boden nicht düngten, auf dem sie groß geworden sind. Es fehlt der Stallgeruch: Hennes weiß, was das bedeutet.