Beim Landwirtschaftlichen Hauptfest auf dem Cannstatter Wasen lässt sich auch dieses rosa Prachtexemplar bestaunen Foto: Jan Reich

Spötter sagen gerne, Stuttgart sei ein Dorf. Klar, Rindviecher und Grasdackel gibt’s auch hier, doch so richtig Landluft können wir nur alle vier Jahre schnuppern. Dann wird das Landwirtschaftliche Hauptfest gefeiert, und der Städter kann auf dem Wasen Landwirtschaft erleben.

Stuttgart - Ein Erlebnis soll es also sein, das Landleben. Das irritiert uns etwas. So oft hat man schon vom Bauernsterben gehört, dass man sich erst gar nicht traut, das Gelände auf dem Wasen zu betreten. Drohen da nicht verödete Landstriche und magere Kühe, die sich einsam in den Schlaf muhen? Wir sehen es vor uns, das karge Leben des Landwirts: Der Wind lässt die Stalltüre knarren, der ausgemergelte Bauer schlürft ein Brotsüpple, und die Maus knabbert am letzten Halm. Also tasten wir uns vorsichtig voran, halten den Geldbeutel in der Hand, falls man uns Subventionen abpressen will, und die Nase in den Wind. Der erste Eindruck: Von guter Landluft kann keine Rede sein, die ist leider nicht inklusive. Der zweite Eindruck: Die Bauern sehen alles andere als verhungert aus. Der dritte Eindruck: Was der Städter für Schwäbisch hält, ist ein schwach gefärbtes Hochdeutsch ist.

Wie man überhaupt einen Dolmetscher braucht. Wer mit einem Verkäufer für Landtechnik fachsimpeln will, sollte wissen, was „Hackschutzrollen“ sind; was eine „Großpackenpresse“ von einer Rundballenpresse“ unterscheidet; was man mit dem „Einzelkornsägerät“ macht; und welche Vorzüge ein Ölbadmähantrieb“ hat. Bauernschläue ist also gefragt. Man muss aber nicht mühsam Leistungsdaten pauken, wie zwei Landwirte versichern. Es reiche einige Sprüche zu verinnerlichen. So ist für den Geflügelzüchter hilfreich, sich folgendes zu merken. „Sind die Hühner platt wie Teller, war der Deutz mal wieder schneller.“ Und der Jungbauer barmt folgendermaßen: „Ich hätt’ so gern einen großen Fendt, doch Papa fährt Schlepper die keiner kennt!“

Auf dem Land ist ein Mann noch ein Mann, da ist Größe noch wichtig. Der Traktor Fendt Vario hat 240 PS, kann auf dem Acker mit 28 Sachen vorwärts fahren, und mit 17 Stundenkilometer rückwärts. Der John Deere Mähdrescher hat einen Hubraum von 9 Litern, sein Tank fasst 950 Liter, sein Schneidwerk ist 10,70 Meter breit. Das Ding ist so groß wie ein Haus, seine Reifen überragen einen Kleinwagen. Dafür muss man extra eine Scheune bauen. Aber die kann man auch gleich auf dem Gelände bestellen, aufgestellt wird sie natürlich später.

Aber was ist denn nun mit der Romantik des Landlebens? Die müsste einem doch aus Knopfaugen entgegenglotzen. Also ab zu den Tieren. Doch von wegen Idylle. Die Besamungsunion Schwein ruft uns entgegen: „Wir haben den richtigen Eber für jede Sau!“ Allerdings ist da nichts von Ringelpiez mit Ringelschwänzchen, den Eber bestellt der Züchter im Katalog. Je nachdem, ob „voll bemuskelt“ gewünscht wird, oder ein „ein extrem voller Schinken“. Genauer gesagt, er bestellt den Samen, eine Portion zu 6,31 Euro.

Man merkt, der Bauer ist ein Zahlenfetischist. Wo der Städter Kuschelfell und Stupsnase sieht, liest der Landwirt: „Limpurger, Milchmenge 4581 Liter“ und „Ostfriesisches Milchschaf, 400 bis 600 kg Milch bei 5 bis 6 % Fett, Wollleistung: 5 bis 7 kg Schweißwolle.“ Auch die Sitten auf dem Cowwalk sind streng. Fundament, Bemuskelung, saubere Rückenlinie, bei der Tierschau muss alles stimmen. „Mittelrahmig“ ist die Kandidatin, übers Beinwerk schwärmt der Moderator, obwohl sie trächtig sei mit dem siebten Kalb. Das Landleben ist kein Schlotzer, hier gewinnen nur Mütter mit Modellmassen.

Erlebnis, das nennt man heutzutage Event. Gut, organisiert wird das Fest von einer Institution namens „Ministerium für Ernährung und Ländlichen Raum Baden-Württemberg“. So gesehen ist der Vortrag „Pflügen als Wettkampfsport“ geradezu elektrisierend, und das Schlepperturnier, bei dem man geschickt mit dem Traktor hantieren muss, erinnert an „Wetten dass  . . .?!“ Glamour finden wir schließlich bei den Ponys. Die heißen Happy Spice Girl und Happy Miley Cirus. Und drehen uns die Rücken zu. Vermutlich wollen sie wieder heim, weg von den Städtern, dieser Landplage.