Die Sitzrondelle auf der Königstraße sind eine Streitobjekt. Foto: Lg/Kovalenko

Sozialbürgermeister Werner Wölfle weist die Kritik am geplanten Umbau der Sitzgelegenheiten an der Königstraße zurück. Er räumt aber ein: Die Verwaltung hätte die Pläne frühzeitig erklären müssen.

Stuttgart - Die geplante Versetzung von 20 Sitzgelegenheiten an der unteren Königstraße, womit die Stadt dort das Lagern von Obdachlosen verhindern will, schlägt hohe Wellen. Sozialbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) verteidigt das Vorhaben. Er räumt aber ein: Die Verwaltung hätte die Pläne frühzeitig erklären müssen.

Herr Wölfle, haben Sie das Thema Sitzgelegenheiten an der Königstraße unterschätzt?
Zunächst ist es ein gutes Zeichen, dass es in Stuttgart viele Leute gibt, die sich dafür einsetzen, dass man sich auch der am Rande lebenden Menschen annimmt.
Aber Sie wollen die vertreiben?
Ich bin der Auffassung, dass öffentliche Räume für alle zugänglich sein müssen und von keiner Gruppe okkupiert werden dürfen. Denen, die sich für Wohnsitzlose einsetzen, sage ich: Es muss bei uns niemand auf Bänken in der Königstraße übernachten. Stuttgart hat ein bundesweit vorbildliches Hilfenetz mit differenzierten Platzangeboten. Da kann jeder hin, der in Not ist und das will.
Es gibt Leute, die finden blamabel, dass man Ordnungs- statt Sozialpolitik macht.
Das Nächtigen auf Bänken in der Königstraße ist keine sozialpolitische Alternative.
Mancher vermutet: Die Leute sollen weg aus der guten Stube, weil Armut nicht zur feinen Einkaufsmeile passt.
Das ist eine Unterstellung, aus welchen Gründen auch immer. Es gibt in dieser Stadt ja verschiedene Szenen, die Gothic-Szene im Schlossgarten, die regionalen Punks und einige andere. Es ist auch Aufgabe der Sozialpolitik darauf zu achten, dass keine von diesen zu dominant wird und das öffentliche Miteinander so stört, dass soziale Unruhe entsteht. Ich war lange genug Straßensozialarbeiter, dass ich weiß, warum es keine anziehenden Szenen geben darf, egal wo. Dass ist für diese meist auch nicht von Vorteil, und für das soziale Miteinander sowieso nicht. Und dann gibt es ja auch genügend Leute, die sagen: Ihr tut nichts gegen die. Für diesen Ausgleich müssen wir sorgen. Es gibt kein Grundrecht, in der Königstraße sein Lager aufzuschlagen.
Ihre Parteikollegin und Bezirksvorsteherin von Mitte, Veronika Kienzle, spricht von „Angsträumen“, die entstanden seien.
Die Initiative ging ursprünglich von der Polizei aus, weil sich Passanten und Anwohner gemeldet und geschildert hatten, dass sie sich an der Stelle nicht ungehindert oder unbelästigt bewegen könnten, auch wenn das nur ein Gefühl sein mag. Wenn sich ganze Gruppen an einer Stelle niederlassen und womöglich Passanten belästigen, dann ist das ein Problem. Es kam häufig vor, dass alle drei Rondelle im Bereich der unteren Königstraße mit Leuten voll waren. Diese Massierung macht den Menschen Angst. Bei den Kontrollen wurden Polizisten angepöbelt, es bestand die Gefahr von Schlägereien. Das sind Konfliktsituationen, die man in der Größenordnung an der Stelle der Königstraße nicht haben will. Deshalb hat die Polizei um eine Veränderung gebeten.
Um welche Gruppen handelt es sich?
In diesem Bereich treten verschiedene Gruppen auf: mal sind es Roma-Clans, mal ist es die Trinkerszene, mal beides, es gibt aber auch noch andere. Aber ein Teil sind Bettler aus dem Schlossgarten, die die hohe Besucherfrequenz der Königstraße für ihre Zwecke nutzen. Das kann man ja verstehen, ich würde auch nicht in einer leeren Straße für meinen Lebensunterhalt betteln wollen. Wir haben sozialpolitisch aber auch dafür zu sorgen, dass keine No-go-Areas entstehen. Das beginnt schon damit, dass Passanten an einer Stelle das Gefühl haben, einen Umweg laufen zu müssen, weil sie sich nicht mehr durchtrauen. Wenn das so ist, dann machen wir was falsch.
Es wird der Vorwurf erhoben, die Stadt tue für die Gruppe der Sinti und Roma zu wenig.
Dazu kann ich sagen: Wir haben uns schon mit den Wohlfahrtsverbänden zusammengesetzt, als es um die Inanspruchnahme unserer Hilfsangebote ging und um die Frage, dass Kleiderkammern, Duschen und auch Übernachtungsmöglichkeiten nicht von einer Gruppe dominiert werden dürfen. Alle, die sich im Bereich der Königstraße aufhalten, wissen um die Angebote in der Stadt. Wenn es morgens ans Frühstücken oder ans Duschen geht, dann nehmen viele diese Hilfen auch in Anspruch. Diese Menschen kommen nicht ahnungslos in Stuttgart an, in der Regel kennen sie die Hilfen. Das ist auch in Ordnung, dafür sind wir da. Das machen auch klassische Wohnsitzlose so. Die wissen – jetzt nur als Beispiel: Bei der Schwester Margret in der Franziskusstube gibt’s Frühstück, das Mittagessen ist meinetwegen bei der Eva am besten, die Duschen sind beim Caritasverband am saubersten. Diese Entscheidung treffen die Menschen selbst, das ist auch okay.
Worin liegt denn das Problem?
Die Gruppenmitglieder der Sinti und Roma haben in der Regel kein Interesse, als Individuen in unser Hilfesystem einzutreten. Auch das ist ihr gutes Recht. Aber zu unserem Management gehört, dass sich keine Szene zu Lasten einer anderen ausbreitet. Deshalb dürfen wir für diese Gruppe keine anziehende Szene im Schlossgarten oder auf der Königstraße zulassen. Wenn wir das dulden, dann verschärft das die Lage all derer, die auf Hilfe angewiesen sind.
Aber Sie verschieben das Problem doch nur.
Es wäre unverantwortlich, nicht zu reagieren und den öffentlichen Raum dem Spiel der Kräfte – sprich: dem Durchsetzungsstärksten – zu überlassen. Das haben wir mit der offenen Drogenszene in den 80er Jahren und mit der Punk- und Obdachlosenszene in den 90er Jahren auch so gemacht. Durch die Neuverteilung der Sitze können diese wieder dafür genutzt werden, wofür sie gedacht sind: dass sich die Leute einfach so hinsetzen und ausruhen können. Das Problem der europaweiten Armutswanderung können wir in Stuttgart nicht lösen.
Von rechts heißt es: Man solle die Leute endlich zurück in die Heimat verfrachten.
Verfrachtet wird bei uns gar niemand. Für Menschen, bei denen klar ist, dass sie hier keine Perspektive haben, geben wir Fahrkarten in die Heimat aus, im Monat 20 bis 25. Das ist ein Spitzenwert in der Republik.
Gibt es eine rechtliche Handhabe gegen dieses massive Auftreten solcher Gruppen?
Nein, die Königstraße ist ein öffentlicher Straßenraum. Grundsätzlich ist mir auch lieber, man versetzt einige Sitze, als dass die Polizei regelmäßig vorbeischauen muss. Das machen auch andere Städte so, etwa durch Sitze mit Armlehnen.
Muss eine Großstadt das Nebeneinander von Wohlstand und Elend nicht aushalten?
Eine Großstadt hält viel aus, gerade Stuttgart. Darauf kann man stolz sein. Aber eben auch darauf, dass es hier keine No-go-Areas gibt. Das ist nicht in allen Großstädten so.
Zwischen den Ordnungs- und den Sozialbürgermeister geht also kein Blatt Papier?
In diesem Fall nicht.
Und die Stadt – Wirbel hin, Protest her – hat mal wieder alles richtig gemacht?
Wir haben versäumt, frühzeitig Argumente und Fakten darzustellen. Dass es also nicht um einen Abbau, sondern um einen Umbau beziehungsweise um eine Angleichung der Sitze an die übrige Königstraße geht, dass kein Sitz verloren geht und bei uns niemand in der Kälte draußen nächtigen muss.