Vom Wasser umrahmt: So soll das Hamburger Olympiastadion aussehen Foto:  

Gibt es mal wieder Olympische Spiele in Deutschland? Eine Vorentscheidung fällt, wenn Hamburg darüber entscheidet, ob man sich für die Sommerspiele 2024 bewirbt.

Hamburg - Egal ob es regnet oder schneit, egal wie stark der Wind von See her bläst oder ob sich ein paar Sonnenstrahlen durch die dunklen Novemberwolken mogeln: Auf dem Hamburger Rathausmarkt steht derzeit eine überdimensionale Uhr, die jedem Wetter trotzt. Und vor allem: Sie tickt rückwärts. Stunden, Minuten, Sekunden, bis Sonntagabend, 18 Uhr. Dann ist entschieden, ob sich Hamburg auf deutschem Ticket um die Olympischen Sommerspiele 2024 bewirbt – oder eben nicht.

Die Bürger haben das letzte Wort. 1,3 Millionen Stimmzettel hat die Senatsverwaltung verschickt. „Ich bin dafür, dass sich der Deutsche Olympische Sportbund mit Hamburg um die Ausrichtung von Olympia 2024 bewirbt“, steht auf dem Stimmzettel. Dazu ein Ja und ein Nein-Kästchen zum Ankreuzen. Vor einigen Wochen besagten die Wetten noch, dass es bei dem Bürgerentscheid eine Zustimmung von bis zu 70 Prozent geben könnte. Nun aber ist die Ausgangslage binnen kurzer Zeit ganz anders geworden. Der internationale Sport wird durch Korruptionen wie die Fifa-Affäre und die Betrugsvorwürfe zur Fußball-WM 2006 in Deutschland erschüttert, zugleich schüttelt alle Welt fassungslos den Kopf über den Doping-Skandal in der russischen Leichtathletik. Als ob das nicht reicht, kommen die Diskussionen um die Flüchtlingskrise und die latenten Sicherheitsängste vieler Bürger nach den Terroranschlägen von Paris hinzu. Olaf Scholz, der regierende Bürgermeister von Hamburg und oberster Olympia-Fan der Stadt, spürt genau, dass sich die Großwetterlage geändert hat: „Da kommt uns gerade einiges in die Quere“, sagt der beliebte SPD-Politiker. Soll heißen: Die Menschen haben anderes im Kopf als Olympia in neun Jahren. Die Zustimmung der Hamburger, gerne Olympia bei sich zu haben, ist jedenfalls auf 56 Prozent gefallen.

Kann Hamburg eine solche Veranstaltung überhaupt stemmen?

Dabei haben die Verantwortlichen des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und der Hamburger Bewerbungsgesellschaft in den vergangenen Monaten – nach dem innerdeutschen Sieg gegen Mitbewerber Berlin – keine Gelegenheit ausgelassen, um für Olympia in der Hafenmetropole zu werben. Der Slogan „Feuer und Flamme für Hamburg“ wurde Tag und Nacht gelebt. Veranstaltungen, Stadtläufe, Diskussionsrunden, eine gigantische Werbeoffensive, dazu unzählige ehemalige und aktive Sportler sowie Trainer und Funktionäre, die sich stark machen für die Spiele in der Hansestadt. So wie Bernhard Peters, einst Hockey-Bundestrainer und nun Direktor beim HSV. „Liebe Hamburgerinnen und Hamburger“, schrieb er in einem offenen Brief, „mit voller Begeisterung bitte ich darum, sich an der Abstimmung zu beteiligen und nach dem Abwägen von Pro und Contra für Olympia in Hamburg zu stimmen“. Ein solches Ereignis, gerade mal zwei Wochen lang, sei einzigartig. „Ich könnte Ihnen erzählen, wie ich die lange Zeit meiner Trainerlaufbahn das große Glück hatte, an den Olympischen Spielen von 1988 bis 2004 teilnehmen zu dürfen.“ Diese Erlebnisse, so Peters fast schon pathetisch, „haben mich extrem geprägt“.

Doch kann Hamburg ein solches Ereignis überhaupt stemmen oder droht die Bewerbung – wie zuletzt um die Winterspiele in München und Garmisch – am Ende baden zu gehen? Nikolas Hill, Geschäftsführer der Bewerbungsgesellschaft, ist optimistisch. Die Stimmung in Hamburg sei weiterhin „sehr positiv“. Aktionen wie das Stellen der Olympischen Ringe mit rund 10 000 Menschen im Stadtpark hätten das bestätigt. Fakt ist: Wenn es am Sonntag ein Ja geben sollte, hätte es die Stadt an Alster und Elbe mit vier harten Konkurrenten zu tun. Allein, Insider sind sich uneinig, welcher Metropole die Favoritenrolle gehört. Los Angeles war schon zweimal der Gastgeber (1932 und 1984). Paris hätte die Spiele auch gerne, denn 2024 wären es genau 100 Jahre her, seit dem man schon einmal Ausrichter war. Aber jeder weiß, dass die Stadt derzeit ganz andere weltpolitische Sorgen hat. Rom hatte sich bereits für 2020 beworben, zog dann aber zurück, und niemand weiß, ob sich die Wirtschaftskrise des Landes als Problem erweisen könnte. Budapest wiederum zeigte schon mehrfach Interesse, Ungarn gilt wegen seiner rechtsorientierten Politik der Orban-Regierung derzeit aber nicht gerade als gute Visitenkarte für die Jugend der Welt.

Bei den Kosten herrscht derzeit noch Konfusion

Gute Chancen also für Hamburg? Nicht mal olympiaerfahrene Fachleute mögen derzeit abschätzen, wem die IOC-Versammlung bei ihrer Tagung im Herbst 2017 in der peruanischen Hauptstadt Lima den Zuschlag geben wird. So viel steht fest: Hamburg hat bislang rund sechs Millionen Euro in die Bewerbung investiert und müsste bis zur endgültigen Entscheidung in knapp zwei Jahren weitere 50 Millionen Euro aufbringen.

Gerade bei den Kosten herrscht derzeit jedoch Konfusion. Während das Konzept der Sportstätten schlüssig ist – die so genannte OlympiaCity mit dem Olympischen Dorf für über 10 000 Athleten, Olympiastadion und zahlreichen Wettkampfstätten soll auf dem noch brach liegenden Industriefeld Kleiner Grasbrook mitten im Hafen entstehen – ist die Finanzierung ungeklärt. Die Stadt rechnet mit Gesamtkosten von 11,2 Milliarden Euro, auf der Einnahmenseite kalkuliert man mit 3,8 Milliarden Euro. Wer zahlt die restlichen 7,4 Milliarden Euro? Hamburg selbst will maximal 1,2 Milliarden Euro aufbringen, nicht mehr. Tenor von Scholz: „Ich werde nicht den öffentlichen Haushalt wegen Olympia ruinieren.“ Der Bund in den Personen von Sportminister Thomas de Maiziere und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) weigert sich wiederum, den großen Batzen zu versprechen – nicht zuletzt weil niemand derzeit weiß, wie sich die Kosten der Flüchtlingskrise in den nächsten Jahren entwickeln. Doch SPD-Bundestagsfraktionschef Thomas Oppermann beruhigt: „Olympische Spiele werden nicht am Bundesanteil von 6,2 Milliarden scheitern.“

Aber war es in der Vergangenheit nicht immer so, dass Großereignisse wie Olympia in der Endabrechnung deutlich teurer wurden als in der Kalkulation vor der Eröffnungsfeier. Und hat Hamburg nicht gerade erst böse Erfahrungen gemacht mit der Elbphilharmonie, die für 77 Millionen Euro geplant war, am Ende aber 770 Millionen Euro kosten wird. Die endgültige Kostenverteilung für Olympia am Wasser jedenfalls wird bis Sonntag nicht vorliegen. „Die Bürger haben eigentlich einen Anspruch darauf, vor ihrer Entscheidung zu wissen, ob die Finanzierung steht“, meint Andre´ Hahn, Sportpolitik-Experte der Linken.

IOC-Präsident Bach unterstützt Bewerbung

So schauen sie alle gespannt dem Bürgerentscheid entgegen. Zuletzt hatte sich sogar der deutsche IOC-Präsident Thomas Bach indirekt für die Hansestadt stark gemacht. „Das Hamburger Konzept von Nachhaltigkeit und Kompaktheit orientiert sich klar am Reformprogramm der olympischen Agenda 2020.“ Sie sieht bekanntlich vor, dass die Gigantomanie der Spiele ein Ende haben soll. In Hamburg hieße das: 23 Sportstätten existieren bereits, nur fünf müssen neu gebaut werden. Im Olympia-Park gibt es nach den Spielen bis zu 8000 neue Wohnungen. Die Olympia-Halle würde zum Terminal für Kreuzfahrtschiffe, und, und, und.

Aber was passiert, wenn es am Sonntag ein Nein gibt, wenn sich die Anhänger von „NOlympia“ durchsetzen? „Dann wird es“, räumen Verantwortliche hinter vorgehaltener Hand ein, „für die nächsten Jahrzehnte kein Olympia in Deutschland mehr geben“.