Würstchen mit Brot und Senf – Standardkost auf deutschen Hauptversammlungen. Früher gab es auch schon mal Kalbsbraten, Wein und Eis. Foto: dpa

Bei der Daimler-Hauptversammlung hat die Polizei einen Streit am Büffet schlichten müssen. Während die Aktionäre früher bei den Treffen noch kulinarisch verwöhnt wurden, geht es inzwischen eher bodenständig zu.

Berlin/München - Will man wissen, was für Aktionäre wirklich zählt, lohnt ein Blick ins Archiv der Schwäbischen Bank in Stuttgart. Das Institut ist nämlich nicht nur ein veritables Geldhaus, sondern verwaltet auch so etwas wie das kulinarische Erbe diverser deutscher Aktiengesellschaften. Über Jahre haben Bank-Mitarbeiter die auf Hauptversammlungen gereichten Speisen und Getränke erfasst und in Form eines kleinen Heftes einer breiten Öffentlichkeit zu Verfügung gestellt – sozusagen, um Appetit auf Aktien zu machen.

Für das Jahr 2006 notierten die Banker beispielsweise in ihrem mit „Schwäbische Aktien – zom Fressa’ gern“ betitelten Werk, dass der Besteck-Hersteller WMF auf seinem Aktionärs-Treff „Kalbsbraten mit hausgemachten Spätzle auf feinem Gemüse“ reicht. Der Sportwagenbauer Porsche bot ein „granatenmäßig gutes“ Buffet feil, und der Ingenieursdienstleister Bertrandt lockte mit Maultaschen in „allen erdenklichen Variationen“, dazu gab es Chinesisches und zum Abschluss Eis aus Italien. Daimler fuhr gar drei Mahlzeiten auf. Das lukullische Mahl garnierte der Caterer des Autobauers mit durchgehend kalten und warmen Getränken sowie Croissants und Schmalzgebäck. Viel gab es, und immer reichlich, schrieben die Banker in ihrem mittlerweile eingestellten kulinarischen Reiseführer durch die deutsche Unternehmensgastronomie.

Heute sieht die Lage anders aus. Viele Aktiengesellschaften haben nach der Wirtschafts- und Finanzkrise der Jahre 2008 bis 2010 auf schnöde Hausmannskost umgestellt. Statt Entenbrust gibt es jetzt also Würstchen und Kartoffelsalat – und das führt mitunter zu Spannungen. Jüngstes Beispiel: Auf der am vergangenen Mittwoch in Berlin abgehaltenen Hauptversammlung des Daimler-Konzerns gerieten zwei Aktionäre am Buffet dermaßen aneinander, dass die Polizei gerufen werden musste, um den Streit zu schlichten. Ein Anteilseigner hatte sich wiederholt blassorange-farbene „Saitenwürschtle“ für zu Hause eingepackt und so das Missfallen einer anderen Aktionärin auf sich gezogen. Am Ende fühlte sich sogar Daimler-Chef-Aufseher Manfred Bischoff bemüßigt, verbal einzugreifen.

Annehmlichkeiten für Aktionariat 

„Es wird gefährlich, weil die Firmen die Bewirtung zurückfahren“, sagt Bernhard Orlik mit einem kleinen Augenzwinkern. Orlik ist Vorstand von HCE Haubrok, einem von zwei großen deutschen Dienstleistern, die Großveranstaltungen für Dax-Konzerne und Mittelständler ausrichten. Ganz neu seien rüde Rüpeleien zwischen Brioche und Bratwurst gleichwohl nicht. Die von manchen spöttisch „Naturaldividende“ genannten Verpflegungsrationen seien für viele Aktionäre schon seit längerem wichtiger als die eigentliche wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens.

Tatsächlich haben sich diverse Firmen vor allem in den fetten 1990er Jahren gegenseitig damit übertroffen, ihrem Aktionariat alle erdenklichen Wohltaten zukommen zu lassen. So verteilte der Edel-Schoko-Hersteller Lindt & Sprüngli bei seinen Aktionärstreffs vier Kilogramm schwere blaue Koffer, gefüllt mit kakaobasierten Köstlichkeiten. Bei Zoos gab es Dauerkarten, bei Seilbahnbetreibern Gratistickets und beim Chemieunternehmen Henkel verließ man als Aktionär den Versammlungssaal selten ohne Waschmittel und Klebeband en masse.

Für besondere Aufregung sorgte vor einigen Jahren die Parfümerie Douglas. Als sie begann, an ihre Besitzer Gutscheine im Wert von 50 Euro zu verteilen, schwoll die jährliche Hauptversammlung innerhalb kurzer Zeit zur Groß-Event mit über 2500 Teilnehmern an. Als das Hagener Unternehmen die Dreingabe daraufhin wieder abgeschaffte, habe das „richtig Ärger“ gegeben, weiß Hauptversammlungs-Urgestein Orlik.

Kein Alkohol, weniger Eskapaden

Dass Leute ihre „Koffer und Thermoskannen auspacken“ und alles, was nicht niet- und nagelfest ist, hineinfüllen registriert er jedenfalls schon seit einiger Zeit. In jeder größeren Stadt gebe es „informelle Communities“, die sich auf Hauptversammlungsbesuche spezialisiert hätten. In Berlin habe sich diesbezüglich eine „Hardcore-Szene“ entwickelt sagt er. Grüppchen – nicht selten Rentner –, die ihren Tagenplan am Hauptversammlungsgeschehen ausrichteten und zudem in einer Konkurrenz zueinander stünden. „Die sind sich oft nicht grün“, sagt er. Auch das führe zu Streit.

Seit nahezu alle Firmen darauf verzichten, auf ihren Hauptversammlungen Alkohol auszuschenken, laufen die geldgeschwängerten Aktionärs-Stelldicheins wenigstens weitaus seltener aus dem Ruder. Früher kam das schon mal vor. Der Ludwigsburger Autozulieferer Beru – heute Borg Warner – kredenzte früher beispielsweise traditionell Maultäschchen und reichte dazu viel feinen Württemberger Wein. Durch regen Zuspruch zum Roten hätten die Aktionäre bis nach dem Mittagessen „so viel Mut geschöpft“, dass so mancher das Mikrofon ergriff, der es nicht nur aus inhaltlichen Gründen besser gelassen hätte. „Das war dann meist nicht sehr schön anzusehen“, sagt Orlik. Diese Zeiten seien aber vorbei.