Christoph Reuter ist einer der wenigen, die noch aus Syrien berichten. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Der Spiegel-Korrespondent und Islamwissenschaftler Christoph Reuter stellte im Hospitalhof sein Buch „Die Schwarze Macht“ vor.

S-Mitte - Bitte begegnen Sie den Syrern, die jetzt hierher kommen, nicht mit Skepsis. Sie kommen, weil sie leben wollen.“ Christoph Reuter versucht zum Abschluss noch einmal den einen oder anderen Zuhörer im Hospitalhof zu beruhigen. Es sei unwahrscheinlich, dass sich die Flüchtlingen den Terror des Islamischen Staates (IS) auch nach Europa und Deutschland brächten. „Auszuschließen ist nichts, aber der IS hat mehr Möglichkeiten vor Ort.“ Etwa die Saudis mit einem Pipeline-Anschlag zu erpressen.

In den zwei Stunden zuvor hat der Islamwissenschaftler und „Spiegel“-Korrespondent, der als einer der wenigen westlichen Journalisten noch aus Syrien und dem Nordirak berichtet, aus seinem Buch „Die Schwarze Macht: Der ‚Islamische Staat’ und die Strategien des Terrors“ gelesen und viele Fragen beantwortet. Geladen dazu hatten Pfarrerin Monika Renninger, die Leiterin des Evangelischen Bildungszentrum im Hospitalhof, und Christian Westerhoff, der Leiter der Bibliothek für Zeitgeschichte in der Württembergischen Landesbibliothek. Entsprechend voll war der Paul-Lechler-Saal.

Kriminelles Netzwerk einstiger Militärkader

Dort berichtete Reuter, wie aus einem kriminellen Netzwerk einstiger Militärkader rund um Saddam Hussein und überzeugten Dschihadisten das „Monster IS“ heranwuchs. Hausgemacht von den Vereinigten Staaten: So privatisierte Paul Bremer, von George W. Bush im Mai 2003 zum Zivilverwalter im Irak ernannt, rasant alle staatlichen Unternehmen, erlaubte ausländischen Firmen Besitzrechtem, verbot Husseins Baath-Partei und löste die irakische Armee mit 450 000 Angehörigen auf. „Diese Dekrete haben mehr mit heute zu tun, als der ganze Krieg gegen Saddam“ so Reuter. „Zehntausende von Würdenträgern, die gerne Opportunisten gewesen wären, wurden auf einen Streich zu Todfeinden.“ Und zu einer Schutzgeldmafia, die im Nordirak bis hin zum letzten Krämerladen alle erpresste. Heute herrscht der IS nach seinem Eroberungsfeldzug 2014 dort und in Teilen Syriens über fünf Millionen Menschen auf einer Fläche so groß wie Großbritannien.

„Der IS wäre nie so erfolgreich, wenn er wirklich die ,wilde Horde‘ wäre, wie er sich gerne in den Medien präsentiert.“ Aber IS sei nicht nur eine extrem gut organisierte Terrororganisation mit Mitteln und Skrupellosigkeit, sondern ein durchgeplantes Unternehmen mit detaillierter Strategie. Ausgeklügelt habe diese Samir Abed al-Mohammed al-Khleifawi alias Haji Bakr, Anfang 2014 wurde er von Rebellen erschossen. Der Ex-Oberst, der im irakischen Militärgeheimdienst lernte wie ein Geheimdienststaat funktioniert, habe den Masterplan zur Machtübernahme in Syrien entworfen, ein Spitzelnetz aufgebaut und den selbst ernannten Kalifen, Abu Bakr al-Baghdadi, installiert. Dabei sei Religion nur Mittel zum Zweck, Ziel sei Macht. Das bezeugen Pläne dem Haus Bakrs, die Reuter mit anderen auswerten konnte. Da gehe es etwa darum, wie Spionagezellen, als islamische Missionsbüros getarnt, in allen Dörfern und Städten etabliert und danach Orte für den IS „geöffnet“ wurden.

„Es gibt nichts mehr zu beherrschen, wenn alle fliehen“

Dieser konnte auch wachsen, weil er von den westlichen Nationen zu lange ignoriert und falsch eingeschätzt wurde. Nun sei er schwer in den Griff zu bekommen, zumal er ständig Allianzen wechsle. „Drei Kräfte kämpfen in Syrien gegeneinander“, so Reuter. „Dabei ist Assad nicht automatisch Feind des IS, denn dieser kämpft gegen Assads Feinde, die Rebellen.“ Was also würde Reuter Merkel empfehlen, wo just beim Uno-Gipfel US-Präsident Barack Obama mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin über das Thema sprachen? „Klar ist allen: Es gibt nichts mehr zu beherrschen, wenn alle fliehen und das letzte Haus eingeäschert ist.“

In Geheimgesprächen in der Schweiz hätten Vertreter beider Lager überlegt, wie man Assads Familie ins Exil bringen könne. „Aber es braucht auch Gespräche mit den Kurden, der Opposition und dem Rest der Regierung, um Kompromisse zu finden und Rachefeldzüge zu verhindern.“