Auf der Frankfurter Buchmesse zeigen sich alljährlich viele Prominente – wie Queen-Gitarrist Brian May, der dort am Donnerstag sein neues Buch vorstellte. Foto: dpa

Das Geschäft mit den Büchern stagniert, die Branche sucht nach neuen Geschäftsmodellen. Hilfestellung bekommt sie auch von Start-up-Unternehmen aus dem Südwesten.

Frankfurt - Der Blick ins Buch führt auf den Tablets des Ludwigsburger Start-ups Isle Audio zu einem neuen Leseerlebnis. Eine Kamera erfasst die Augenposition des Lesers. Zu den Wörtern und Sätzen klingt Musik aus Lautsprecher oder Kopfhörer: das Knarren der geheimnisvollen Kellertür; die Hufe der Kavallerie-Pferde; der sanfte Wind in den Dünen. Die Macher haben das Buch mit dem integrierten Soundtrack „aBook“ genannt. Beim Pendant „tBook“, das sie ebenfalls auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren, klingt der Text, sobald man ihn berührt.

„Wir erweitern und intensivieren damit die Geschichte, ohne dass der Leser dadurch ein anderes Leseerlebnis hätte, als er gewohnt ist“, sagt David Hill. Der 26-Jährige ist der Softwareexperte des Trios, das Benedikt Sailer und Grischa Kursawe komplettieren. Während ihres Musikstudiums an der Hochschule in Trossingen ließen sie ihre Liebe zu klanglichen Experimenten in eine eigene Firma mit einfließen und denken schon berufsmäßig groß: „Wir vergleichen das mit der Entwicklung vom Stumm- zum Tonfilm. Wir haben etwas Neues geschaffen“, sagt Hill.

Das Selbstbewusstsein schätzt man auch bei der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg (MFG), die Isle Audio als einen von fünf Gewinnern eines Ideenwettbewerbs nach Frankfurt eingeladen hat – unter anderem in Kooperation mit der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart. Bis Sonntag will der Südwesten in der „Ideentanke“ in Halle 3 mit neuen Formaten überzeugen und setzt sich mit knallig gelben Sitztonnen und Co-Working-Atmosphäre auch optisch von anderen Messeständen ab. So lässt Detox aus Ludwigsburg Videos, Text, Töne, Karten und Fotos zu einem multimedialen Endzeitroman verschmelzen. Die Furtwanger Firma Everbyte wiederum hat für das Smartphone ein interaktives Hörspiel geschaffen, das wie ein Abenteuerspiel aus der Computerbranche funktioniert und dabei ganz die Fantasie und Konzentration des Hörenden erfordert. „Wir müssen das Buch neu denken – vieles wird crossmedial. Wir brauchen neue Wege zum Leser und Käufer“, sagt Ines Goldberg von der MFG.

2016 sank die Zahl der Buchverkäufe um mehr als zwei Millionen

Erst einmal neue Leser gewinnen – darin ist sich die Buchbranche einig, denn die Zahl der Leser schwindet. 2016 sank die Zahl der Buchkäufer im Vorjahresvergleich um mehr als zwei Millionen auf rund 31 Millionen Bücherfreunde. Der Umsatz stieg nur deshalb um ein Prozent auf 9,3 Milliarden Euro, weil die Käufer mehr Geld für das Lesevergnügen ausgaben.

Und auch das E-Book, das zum gestiegenen Umsatz im Online-Handel mit beitrug, wächst viel weniger stark, als sich die meisten noch vor einigen Jahren erhofft hatten, auch hier schwindet die Käuferzahl. Weil auch hier die Leser zu mehr Exemplaren griffen, stand 2016 immerhin ein Absatzplus von rund vier Prozent. Doch für die Zukunft ist man damit nicht gerüstet – das haben auch die Verlage begriffen. „Die Verlage überlegen sich viel dezidierter, welche Formate die Leser wünschen. Primär geht es gar nicht darum, Geld zu verdienen, sondern erst einmal darum, die Leser, die man verloren hat, wiederzugewinnen“, sagt Carmen Udina. Sie ist Sprecherin der Interessengruppe Digital des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Udina beobachtet, wie die großen Verlage den vernachlässigten Kontakt zum Leser wieder herzustellen versuchen, den lange nur die kleineren pflegten. Wie sie Blogs aufsetzen und Fanclubs gründen. Wie sie versuchen, die Leser stärker mit den Autoren zusammenzubringen.

Auch deshalb wächst die Bedeutung von Plattformen wie Vorablesen oder Lovelybooks, wo Leser über ihre Lieblingsbücher schreiben oder mit Autoren diskutieren können. Schon jetzt spielen in den Genres Fantasy, Science-Fiction und Romance Fanseiten und Blogs bei der Vermarktung und dem Verkauf eine entscheidende Rolle. „Die Bildung von Gemeinschaften wird das nächste große Ding. Es vermittelt den Verlagen eine größere Glaubwürdigkeit“, sagt Udina.

Klassiker wie Mary Stuart lassen sich wie Chats auf dem Smartphone lesen

Doch dazu brauche es weitere neue Formate, die den Einstieg ins Lesen einfacher machten. Die Aufmerksamkeitsspanne sei kürzer, die Medienkonkurrenz größer geworden. „Lesen ist anspruchsvoller als zwei Stunden Modevideos auf Youtube anzusehen“, sagt Udina. Auch deshalb seien neue Formate wie die der „Ideentanke“ so wichtig, auch wenn es für die Umsetzung wohl einen langen Atem brauche. Doch die Experimentierfreude der Branche sei zuletzt gestiegen – nicht nur bei den bekannten Verlagshäusern wie Bastei Lübbe, Holtzbrinck oder Random House. „Umtriebig sind sie inzwischen alle. Manche bauen sich eher von anderen unbemerkt um.“

Auf den Umbau setzen auch die Existenzgründer aus dem Südwesten. Manche wagen sich dafür sogar in jene Gefilde vor, die Schüler bei der Lektüre kleiner gelber Heftchen fürchten: das Lesen klassischer Dramen.

Der Kladdebuchverlag aus Freiburg hat Klassiker wie „Mary Stuart“ und „Dantons Tod“ für das Smartphone so eingerichtet, dass sie sich wie Chats auf Whatsapp lesen. Die Autoren Friedrich Schiller und Georg Büchner laden dafür die Protagonisten in ihre Gruppe ein. Einst hatte Mitgründer Jonas Navid Al-Nemri als Lehrer die Schüler gefragt, welches Format sie für das Lesen von Dramen wieder begeistern könnte. Die ersten Verlage hätten für die Whatsapp-Dramen schon Interesse gezeigt. „Es muss nicht alles in die Buchrichtung gedrängt werden“, sagt Al-Nemri. „Man kann auch die Kommunikationsformen der Jugendlichen dafür nutzen.“