Alfred Wieland (links) und sechs weitere Betroffene haben Anzeige wegen sexuellen Missbrauchs in Korntal-Münchingen erstattet. Foto: factum/Granville

Insgesamt gehen 15 Anzeigen gegen die Brüdergemeinde bei der Polizeidiensstelle ein. Die Staatsanwaltschaft muss nun prüfen, ob die Fälle verjährt sind.

Korntal-Münchingen - Die Opfer des Missbrauchsskandals der Brüdergemeinde Korntal haben Anzeige gegen die mutmaßlichen Täter erstattet. Laut Andreas Rehman von der Kriminalpolizei Ludwigsburg wurden sieben Anzeigen wegen schwerem sexuellen Missbrauch an Schutzbefohlenen sowie wegen der Verletzung der Fürsorgepflicht bei der Polizeidienststelle in Korntal-Münchingen aufgenommen.

Alfred Wieland, einer der Betroffenen, die am Freitagnachmittag Anzeige erstatteten, sagte: „Unser Ziel ist, dass der Missbrauch endlich anerkannt wird.“ Wieland besuchte das Hoffmannhaus. Er sei in den Jahren 1960 bis 1965 mehrmals von Mitgliedern der Brüdergemeinde missbraucht worden. Er gehört somit zu den älteren Betroffenen, die an ihm verübten Taten sind bereits verjährt. Dennoch seien die Anzeigen ein wichtiges Signal: „Bei der großen Anzahl an Anzeigen muss sich die Staatsanwaltschaft mit den Fällen beschäftigen.“

Die Staatsanwaltschaft will auf die Betroffenen zugehen

Zudem seien auch im Namen von acht weiteren Betroffenen Anzeigen erstattet worden, deren Fälle noch nicht verjährt sein könnten. „Wir verschaffen uns momentan einen Überblick“, bestätigte Andreas Rehman, „in den nächsten Tagen werden wir in enger Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft Stuttgart auf die weiteren Betroffenen zugehen.“

Laut Detlef Zander, dem Sprecher des Vereins Netzwerk Betroffenenforum und selbst Betroffener sexuellen Missbrauchs in einer Einrichtung der Brüdergemeinde, könnte in einigen Fällen auch eine sogenannte Verjährungsunterbrechung greifen. Viele Betroffene würden ihren Missbrauch verdrängen. Erst im Alter trete das Trauma wieder hervor. Viele würden krank oder litten unter Depressionen, die im Zusammenhang mit dem Missbrauch stünden. „Bei mir trat alles vor fünf Jahren wieder zu Tage“, sagt Zander. Könne ein Betroffener die verzögerten Auswirkungen nachweisen, gelte für die Verjährungsfrist der Moment, in dem das Trauma wieder Besitz von ihm ergreift.

Zander begründet den für die Opfer nicht leichten Schritt, sich mit dem selbst Erlittenen zu offenbaren, als längst überfällig: „Seit zwei Jahren bemühen wir uns in Kooperation mit der Brüdergemeinde um eine unabhängige, betroffenenorientierte Aufklärung und Aufarbeitung. Wir wollten im Guten mit ihnen verhandeln.“ Dieser Weg sei aber von der Brüdergemeinde verlassen worden, sie sei nicht an einer Zusammenarbeit interessiert gewesen.

Der Sprecher der Brüdergemeinde begrüßt jeden Hinweis

Zander kritisiert, dass die Brüdergemeinde eine „Aufklärung im Schnellwaschgang“ favorisiere, die ausschließlich von Personen aus dem Netzwerk der Brüdergemeinde geleistet werden solle. Diese einseitige Vorgehensweise berge das Risiko, die Vergehen zu vertuschen. „Die Betroffenen müssen entscheiden, denn sie sind es, die mit den Aufklärern zu recht kommen müssen.“ Außerdem solle man „endlich Ross und Reiter benennen“, so Zander. Bevor viele Fälle verjähren, sei eine zeitnahe Ermittlung durch die staatlichen Strafverfolgungsbehörden nötig.

Klaus Andersen, Sprecher der Brüdergemeinde, sagte: „Wir befürworten jeden Hinweis, welcher der Aufklärung und Aufarbeitung dienlich ist. Sollten polizeiliche Ermittlungen dies unterstützen, so werden wir uns auch damit auseinandersetzen.“ Den Unmut des Betroffenennetzwerks könne man insoweit nachvollziehen, als dass es den Betroffenen zuletzt mit der gemeinsamen Aufarbeitung nicht schnell genug vorwärts gegangen sei. „Den Vorwurf jedoch, die Brüdergemeinde hätte den Weg einer unabhängigen, betroffenenorientierten Aufklärung und Aufarbeitung verlassen, müssen wir mit Nachdruck zurückweisen, das Gegenteil ist der Fall.“