Inga Bing-von Häfen und Michael Bing sichern Kinderheimakten Foto: Max Kovalenko

Die Diakonie der Brüdergemeinde Korntal hat am Dienstag die Kinderheim-Akten an das Landeskirchliche Archiv übergeben. Dort werden die Akten über Kinder, Mitarbeiter und das Heim selbst erschlossen, ausgewertet und archiviert. Die Ergebnisse sollen in eine Publikation münden.

Stuttgart - Das Hoffmannhaus in Korntal hat Besuch vom LKA – so kürzt Manuel Liesenfeld das Landeskirchliche Archiv ab. Der Pressesprecher der Diakonie der Brüdergemeinde spielt damit auf die landesweite Kriminalbehörde an und auf die Situation, in der sich der Jugendhilfeträger momentan befindet: Nicht angeklagt, aber öffentlich beschuldigt schwerer Übergriffe auf ehemalige Heimkinder in der Zeit der 60er und 70er Jahre. Einer von ihnen ist Detlev Z., der 1,1 Millionen Schadenersatz einklagen will.

In der Dachkammer des Gebäudes an der Zuffenhauser Straße drängen sich am Dienstagmorgen die Historiker Inga Bing-von Häfen, ihr Mann und Kollege Michael Bing und eine Referendarin des Landeskirchlichen Archivs. Auf 30 Regalmetern stehen circa 100 Einzelfallakten, daneben Unterlagen über fest angestelltes Personal, über Zivildienstleistende und Sachdokumente des Kinderheims, Stapel von Kladden.

Die Luft ist trocken und staubig, die Archivare packen Ordner für Ordner in Kartons. „Wir haben keine der alten Akten weggeworfen, der Bestand ist komplett und geht nun – bis zum Jahr 1984 – in den Besitz des Landeskirchlichen Archivs über“, sagt Manuel Liesenfeld. Die zeitliche Zäsur liegt beim Jahr 1984, weil für diese Unterlagen die datenschutzrechtliche Schutzfrist von 30 Jahren abgelaufen ist.

Die Historiker sichten an diesem Morgen nur die beschrifteten Rücken der Leitz-Ordner. „Die Unterlagen über Heimkinder sind entsprechend ihres Austrittsjahrs archiviert und dann in alphabetischer Reihenfolge“, erläutert Inga Bing-von Häfen.

Die eigentliche Arbeit beginnt erst im Archiv in der Balinger Straße 33/1 in Möhringen, wohin der weiße Transporter die Akten um die Mittagszeit bringt. „Zunächst werden die Akten in säurefreien Archivboxen verpackt, um sie zu erhalten, und Ende dieser Woche werden sie dann im Regal stehen“, so die Historiker. Von August an können ehemalige Heimkinder dann ihre Akten dort einsehen.

„Anschließend werden wir den kompletten Bestand inhaltlich erschließen“, kündigt Michael Bing an. Jedes ehemalige Heimkind wird eine Verzeichnisnummer bekommen, zu jeder Akte wird es eine „tiefere inhaltliche Beschreibung“ geben. Alle Informationen fließen in eine Datenbank ein, in der dann auch nach Zusammenhängen zwischen Personen, Sachverhalten und Zeiträumen recherchiert werden kann.

Mehr als 60 Anfragen von ehemaligen Heimkindern, Jugendhilfeträgern oder Kirchen hat die Verwaltungsangestellte Petra Knight seit 2012 entgegengenommen. „Es kostet sehr viel Zeit, Akten rauszusuchen, zu kopieren, die Namen von Dritten zu schwärzen“, sagt sie. „Das Landeskirchliche Archiv wird jetzt nach allen Regeln der Kunst damit umgehen“, sagt der Pressesprecher. Er bedauert, dass die Diakonie noch nicht mehr weiß über die Zeit damals, „dann hätten wir heute einen anderen Umgang mit dem Thema“.

„Wir nehmen die aktuelle Situation sehr ernst, das Thema macht uns betroffen“, sagt Klaus Andersen, der Vorsitzende des Diakonierats. Weil der Runde Tisch Heimerziehung, der Anträge auf Entschädigungen nur noch bis September diesen Jahres entgegennimmt, habe die Diakonie Korntal selbst eine Kommission zur Aufarbeitung der Anfragen ehemaliger Heimkinder gegründet. Ihm gehören unter anderen geschäftliche und geistliche Vorsteher der Diakonie an, der Heimleiter Joachim Friz, eine Vertreterin des Diakonischen Werks und der Hausjurist. Gründungszeitpunkt war der 10. Mai 2013. Das Datum ist für Geschäftsführer Veit-Michael Glatzle ein Beleg dafür, dass man zu diesem Schritt nicht von Detlev Z.’s Anschuldigungen getrieben werden musste: „Das erste Gespräch mit ihm hat erst am 7. Juni stattgefunden“, sagt er.

Die Kommission will nun die Aufarbeitung der Akten begleiten und mehrere Aspekte ergänzen, unter anderem um den psychologischen bei der Aufarbeitung der Geschichte mit ehemaligen Heimkindern. „Am Ende wird es eine Publikation geben in irgendeiner Art“, sagt Manuel Liesenfeld. Noch habe man sich nicht entschlossen, ob in Buchform oder mittels neuer Medien.

Derweil ist die Diakonie bemüht, im Internet den Stand der Dinge kundzutun. Der Antrag von Z. auf Prozesskostenhilfe bleibt urlaubshalber noch bis zur 24. Kalenderwoche unentschieden, so die Auskunft vom Landgericht Stuttgart.

Ehemalige Heimkinder, die Akten einsehen wollen (bis incl. 1984), können sich ans Landeskirchliche Archiv wenden unter Tel. 07 11/21 49-373 oder archiv@elk-wue.de. Für alle anderen Akten ist die Diakonie der Brüdergemeinde zuständig.