Die Produktion des BMW Mini in Oxford: Ein Wertverlust der britischen Währung verbilligt für BMW die Fertigung der Autos in Großbritannien. Foto: BMW

Analysten warnen vor den Folgen des EU-Ausstiegs für die Autobranche, die Hersteller geben sich gelassen.

München/Stuttgart - Kein deutscher Wirtschaftszweig ist so stark mit Großbritannien verbunden wie die Autobranche. 810 000 Pkw aus heimischer Produktion sind nach den Statistiken des Verbands der Automobilindustrie (VDA) 2015 auf die britischen Inseln exportiert worden. Das entspricht einem Siebtel aller deutschen Autoexporte. Die Folgen des EU-Austritts kennt niemand genau. Aber die Versicherungsagentur Euler Hermes schätzt in einer Studie, dass deutsche Exporteure nach dem Brexit bis zu sieben Milliarden Euro einbüßen könnten – zwei Milliarden davon entfallen auf Autobauer. Genauer analysiert hat es die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Im schlimmsten Fall hätten deutsche Autohersteller in Großbritannien mit einem Fünftel Absatzrückgang zu rechnen, warnt LBBW-Autoanalyst Gerhard Wolf.

Die größten Veränderungen ergeben sich dabei für BMW. Über ein Zehntel aller konzernweit produzierten Autos verkaufen die Münchner auf den britischen Inseln. Dahinter rangiert Daimler mit gut acht Prozent Anteil am Gesamtabsatz und VW mit knapp sechs Prozent. Ohne positive Gegeneffekte sinken die operativen Gewinne vor Steuern und Zinsen von BMW und Daimler durch den Brexit zwischen sechs und acht Prozent, schätzt Wolf. Das könne die jeweilige Umsatzrendite, für die etwa BMW jährlich acht bis zehn Prozent anstrebt, um einen Prozentpunkt drosseln.

Die Bayern reagieren auf diese Aussichten zumindest offiziell recht gelassen. „Wir warten ab“, hat der britische BMW-Vertriebsvorstand Ian Robertson für den Fall eines Brexit mehrmals erklärt. Einen Plan B dafür habe BMW nicht in der Schublade. Auch Daimler-Chef Dieter Zetsche wiegelt ab: „Was Daimler betrifft, erwarten wir keine unmittelbaren Auswirkungen.“

„Kein guter Tag für Europa“, sagt Daimler-Chef Zetsche

Allerdings sagt der Chef des Stuttgarter Autobauers auch: „Das ist kein guter Tag für Europa – und aus meiner Sicht erst recht nicht für Großbritannien. Geografisch mag das Land eine Insel sein, politisch und ökonomisch ist es das nicht. Umso mehr kommt es jetzt darauf an, dass sich Europa nicht weiter auseinander dividieren lässt.“

Bei den Münchnern ist die Lage nun besonders verzwickt. Denn BMW exportiert nicht nur viele Autos auf die Inseln, der Autobauer produziert dort auch wie kein zweiter deutscher Hersteller. Rund 8000 Menschen arbeiten in den vier britischen Werken des Konzerns. Neben jährlich gut 200 000 Kleinwagen der Marke Mini, stellen sie dort rund 4000 Nobelkarossen der Marke Rolls-Royce her. Dazu kommen ein britisches Motoren- und ein Teilewerk.

Insgesamt hat BMW also 2015 auf der Insel über 204 000 Autos gebaut. Sonst fertigt von den deutschen Konzernen nur noch VW die Nobelmarke Bentley in kleinen Stückzahlen auf der Insel. Verkauft haben die Münchner vergangenes Jahr in Großbritannien 236 000 Automobile.

Exporteure ohne Notfallpläne

LBBW-Analyst Wolf glaubt, dass die Produktion in England nach dem Brexit für BMW zum Vorteil werden könnte. Denn ein Wertverlust des britischen Pfund, der nach der Abstimmung schon massiv eingesetzt hat, verbillige die Fertigung in britischen Werken. Ganz so einfach ist die Rechnung aber nicht. Denn rund die Hälfte aller Komponenten von in Großbritannien gefertigten Autos stammt aus der EU und diese Zulieferungen verteuern sich spiegelbildlich. Falls zwischen den britischen Inseln und der EU neue Zölle erhoben werden, könnte das verbunden mit Kosten für ebenfalls mögliche bürokratische Hemmnisse, britische Produktion unter dem Strich sogar verteuern.

Auch die Ungewissheit, in welche Richtung das britisch-europäische Verhältnis sich entwickelt, könnte das weitgehende Fehlen von Notfallplänen in der deutschen Wirtschaft erklären. Denn dass BMW nicht allein steht mit der Strategie des Abwartens und Tee trinkens, hat die Beratungsfirma H&Z in einer Studie kurz vor der Brexit-Abstimmung ermittelt. Gerade mal ein Fünftel aller befragten Exporteure habe einen Notfallplan, erklärt H&Z-Studienmacher Thomas Tapp. Kollege Christof Sonderhauser findet das blauäugig. Zwar gebe es ab dem Zeitpunkt, an dem Großbritannien offiziell den Austritt aus der EU beantragt eine zweijährige Übergangsfrist, innerhalb der das Verhältnis zur EU erst einmal unangetastet bliebe. Aber allein neue Lieferanten zu suchen, dauere in der Autoindustrie zwischen einem und eineinhalb Jahren.

Möglicherweise hätten deutsche Exporteure im Vorfeld der Brexit-Abstimmung keine zusätzliche Aufregung verursachen wollen und weit öfter Notfallpläne parat als zugegeben, mutmaßt Tapp. Eine aktuelle Befragung des Ifo-Instituts macht hellhörig. Während im Schnitt ein Drittel der heimischen Industrie Nachteile durch den Brexit befürchtet, seien es in der Automobilbranche 49 Prozent. Auf einen höheren Wert kommt mit 51 Prozent nur noch die Elektroindustrie. Tatenlosigkeit verträgt sich nicht mit diesen Ängsten.