Vor dem Beginn der Verhandlung vor dem Supreme Court protestieren befürworter und Gegner des Brexit vor dem Gerichtsgebäude. Foto: AFP

Seit Langem hat kein Gerichtsprozess in Großbritannien so viel Aufmerksamkeit erregt. Darf die Regierung ohne die Zustimmung des Parlaments den Austritt aus der EU beschließen?

London - Darf die britische Regierung den Austritt ihres Landes aus der EU (Brexit) erklären, ohne zuvor die Zustimmung der Parlamentarier einzuholen? Über diese Frage wird seit Montag vor dem obersten Gericht in Großbritannien, dem Supreme Court, verhandelt. Eine erste Instanz hatte zugunsten des Parlaments entschieden.

Die Regierung von Premierministerin Theresa May beruft sich auf ein historisches Recht der britischen Monarchen, Entscheidungen ohne die Zustimmung des Parlaments zu treffen. Die Gegenseite argumentiert, die Austrittserklärung könnte Konsequenzen nach sich ziehen, über die nicht ohne Parlamentsabstimmung entschieden werde dürfe. Auch die schottische Regierung fordert ein Mitspracherecht für das Regionalparlament in Edinburgh.

Entscheidung soll Mitte Januar kommen

Die Anhörung soll voraussichtlich vier Tage dauern. Mit einer Entscheidung wird Mitte Januar gerechnet.

Sollte das Gericht zugunsten des Parlaments entscheiden, könnte der Brexit-Zeitplan der britischen Regierung durcheinander geraten. Premierministerin May hatte angekündigt, die Austrittserklärung gemäß Artikel 50 des Vertrags von Lissabon bis spätestens Ende März nach Brüssel zu schicken. Artikel 50 regelt den Austritt eines Landes aus der EU und gilt als Voraussetzung für die anstehenden Brexit-Verhandlungen.

Das erstinstanzliche Urteil hatte eine heftige Debatte über die Unabhängigkeit der Richter entfacht. Medien hatten den drei Richtern des High Court teilweise politische Motive bei ihrer Entscheidung zugunsten des Parlaments vorgeworfen. Die „Daily Mail“ hatte sie sogar als „Feinde des Volkes“ bezeichnet.

Der Vorsitzende Richter des Supreme Court, David Neuberger, sagte zum Prozessauftakt am Montag, das Gericht sei sich über die „starken Emotionen im Zusammenhang mit den vielen weiteren politischen Fragen um den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs“ bewusst. Das sei aber nicht Inhalt des Prozesses. „Dieser Prozess beschäftigt sich mit rechtlichen Fragen, und als Richter ist es unsere Pflicht, sie unparteiisch zu betrachten und den Fall im Sinne des Gesetzes zu entscheiden“, sagte Neuberger.

Theoretisch könnten Abgeordnete EU-Austritt abwenden

Britische Medien hatten zuvor berichtet, die Regierung bereite sich für den Fall einer Niederlage darauf vor, ein entsprechendes Gesetz im Eilverfahren durch die beiden Kammern des britischen Parlaments zu bringen. Theoretisch könnten die Abgeordneten den EU-Austritt des Landes im Falle eines Siegs vor Gericht abwenden. Mehrere Oppositionspolitiker hatten das aber bereits ausgeschlossen.

Oppositionsführer Jeremy Corbyn hatte angekündigt, den Brexit nicht aufhalten zu wollen. Man wolle der Regierung aber Zugeständnisse wie das Bekenntnis zum EU-Binnenmarkt und zu EU-Arbeitnehmerrechten abringen, sagte Corbyn dem Nachrichtensender SkyNews. Das will die Regierung einem Bericht zufolge erschweren, indem sie den Gesetzestext so knapp wie möglich formuliert.

Die Briten hatten sich am 23. Juni in einem historischen Referendum mit knapper Mehrheit für einen Austritt aus der EU entschieden. Der Volksentscheid über den sogenannten Brexit gilt aber rechtlich nicht als bindend.