Vor allem bei Trennschleifern zum Schneiden von Steinen und Rohren ist Großbritannien ein wichtiger Markt für das Waiblinger Familienunternehmen Stihl. Foto: dpa

Die Industrie befürchtet eine jahrelange Unsicherheit. Die Geschäfte mit den Briten werden schwieriger und teurer.

Stuttgart - Was nach dem Austritt von Großbritannien auf die Unternehmen in Baden-Württemberg zukommt, steht noch in den Sternen. Doch nicht nur für Norbert Pick, den Vertriebsvorstand beim Waiblinger Familienunternehmen Stihl ist bereits jetzt klar: „Für Handel und Direktinvestitionen drohen mehr Bürokratie, höhere Kosten und insgesamt schlechtere Bedingungen“. Pick dürfte mit seiner Vorhersage vielen seiner Kollegen im Management schwäbischer Mittelständler aus der Seele sprechen. Auch andere befürchten, dass die Geschäfte schwieriger werden. Schon seit die britische Regierung das Referendum über den weiteren Verbleib des Landes in der EU festgesetzt hat, spürt der Ditzinger Werkzeugmaschinenhersteller Trumpf eine Zurückhaltung seiner Kunden bei den Investitionen – eine Tendenz, die sich nun verstärken wird. „Unter dem Strich rechnen wir mit einer Verschlechterung des Geschäfts mit Großbritannien und einer Schwächung des Marktes“, erklärt ein Sprecher des Unternehmens.

Auch die Transportkosten dürften steigen, befürchtet Pick. Dies schon deshalb, weil es zu zunehmenden Zollformalitäten kommen dürfte. Zusammen mit einem schwächeren britischen Pfund macht dies nicht nur für Stihl die Ausfuhren teurer. Die Konsequenzen wären für Pick „Preiserhöhungen bei unseren Produkten, was zu Umsatzverlusten führen kann“. Doch es geht nicht nur um höhere Kosten, sondern auch um nichttarifäre Handelshemmnisse. Was im Rahmen der umstrittenen TTIP-Verhandlungen zwischen Europa und den USA gerade mühsam genug aus der Welt geschafft werden soll, könnte nun zwischen Europa und Great Britain fröhliche Urständ feiern. So rechnet etwa Trumpf damit, für genehmigungspflichtige Güter wie einige seiner Laser eine Genehmigung für Exporte in das Vereinigte Königreich beantragen zu müssen. Stihl-Vertriebschef Pick befürchtet, wenn auch für andere Produkte, Ähnliches: „Wenn neue Standards wie beispielsweise Sicherheits- oder Emissionsvorschriften von den heute geltenden EU-Standards abweichen, wird dies zu höheren Kosten und weiteren Exporthindernissen führen“, meint Pick.

Die Verbände sind alarmiert

Wenig Wunder, dass solche Szenarien auch die Wirtschaftsverbände in Alarmstimmung versetzen. Hans-Eberhard Koch, der Vorsitzende des Landesverbands der Industrie (LVI) nimmt sogar das Wort Katastrophe in den Mund: „Dies ist die Katastrophe, die wir eigentlich nicht mehr erwartet hatten,“ sagt Koch zu dem noch vor dem Votum überwiegenden Optimismus in der Südwestwirtschaft. Auf die Unternehmen komme nun eine große Unsicherheit darüber zu, „wie es weitergeht“. So sei etwa zu befürchten, dass Unternehmen bei Investitionen auf die Bremse träten. Und zudem verliere die EU mit Großbritannien eine wichtige Stimme, die sich wie Deutschland für marktwirtschaftliche Prinzipien einsetze. Viele südeuropäische Länder dagegen setzten eher auf staatliche Maßnahmen.

Auch der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart, Andreas Richter, fürchtet gravierende Nachteile des Brexit für die Unternehmen: „Die Entscheidung wird für viele nicht ohne negative Folgen bleiben,“ meint Richter. Immerhin liege Großbritannien auf Platz sechs der wichtigsten Ausfuhrländer der Baden-Württembergischen Industrie. Im vergangenen Jahr hatte diese Waren für 12,3 Milliarden Euro in das Vereinigte Königreich geliefert. Der Hauptgeschäftsführer indes weist noch auf einen weiteren Punkt hin: Für Partner aus Übersee stelle Großbritannien ein wichtiges Eintrittsland in den europäischen Markt dar. „Wir befürchten nun, dass ausländische Direktinvestitionen in die EU zurückgehen“, sagt Richter. Peter Kulitz, der Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags, sieht in dem Votum der Briten auch ein Warnsignal an andere europäische Länder, „nicht mit dem Feuer zu spielen.“ Träten weitere Staaten aus der EU aus, könnte dies nicht nur für die Industrie, sondern auch für das Handwerk „massive Probleme bringen“, sagt Oskar Vogel, der Geschäftsführer des Baden-Württembergischen Handwerkstags. Bisher seien zwar schon Schreiner mit der Anfertigung hochwertiger Möbel im Großraum London beschäftigt, doch überwiegend mache das Handwerk im Südwesten seine Auslandsgeschäfte mit Ländern auf dem Kontinent. „Bedauerlich“ finden auch die Chemieverbände Baden-Württemberg den Brexit: „Großbritannien ist für unsere Unternehmen ein wichtiger Handelspartner für Spezialchemikalien und besonders für Pharmazeutika,“ erklärte Thomas Mayer, der Hauptgeschäftsführer der Chemieverbände. Derzeit würden diese Waren im Wert von 2,2 Milliarden Euro in das Vereinigte Königreich liefern: „Wir erwarten eine Verschärfung der Wettbewerbsbedingungen, aber eine Katastrophe ist der Brexit nicht“, meint Mayer.

Zügige Verhandlungen nötig

„Nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht bedauern wir den Austritt Großbritanniens aus dem größten Binnenmarkt der Welt sehr“, heißt es in einer Erklärung von Volkmar Denner, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH. „Aktuell prüfen wir die Auswirkungen des Austritts auf unser Geschäft“. Derzeit gebe es allerdings noch keine Pläne, die Investitionen in Großbritannien zu reduzieren. „Wir sehen die Entwicklung kritisch“, sagt Renate Pilz, die Vorsitzende der Geschäftsführung beim Automatisierungsspezialisten Pilz in Ostfildern. Den britischen Markt aber wolle man „weiter intensiv bearbeiten“. Für Stihl-Vertriebschef Pick ist nach der Entscheidung vor allem eines wichtig: „Die nun nötigen Verhandlungen müssen zügig geführt werden, um die Phase der Unsicherheit zu begrenzen“, fordert Pick.