Der Tübinger Mathematiker Nikolai Diekert hat ein Brettspiel zur Euro-Krise erfunden – Bis Mitte Juli will er 13 500 Euro sammeln, um es zu produzieren Foto: swa

Die Finanzkrise wird aufs Spielbrett verlegt, jeder Spieler ist eine Bank. Das ist die Grundidee von Nikolai Diekerts Spiel „Euro-Krise“. Mit seinem Brettspiel macht sich der Tübinger aber nicht nur Freunde.

Berlin - Von langen Erklärungen hält Nikolai Diekert nicht viel. „Am besten spielt man einfach so drauflos, auch wenn man noch nicht alles verstanden hat. So wie die Banken das eben auch machen“, sagt der 28-Jährige mit einem Grinsen im Gesicht. Diekert hat ein Brettspiel erfunden, das die Finanzkrise simulieren soll. Die Regeln sind – wie in der echten Schuldenkrise – ziemlich kompliziert. Jeder Spieler verkörpert eine Bank. Außerdem sind – an ihren Flaggen auf dem Spielbrett erkennbar – vier europäische Staaten vertreten: Irland, Frankreich, Spanien und Griechenland. Im Geschäft mit diesen Staaten wollen die Banken ihr Geld verdienen, das heißt: Sie wollen ihnen möglichst viel Geld leihen.

„Am besten bis zur haushohen Staatsverschuldung“, sagt der Mathematiker, der in Berlin lebt. Denn wenn irgendwann der Schuldenschnitt kommt, tut das den Banken zwar ein kleines bisschen weh – aber den Großteil der Zinsen, die sie davor eingenommen haben, dürfen sie behalten. Und die Regierungen? Sie haben in Diekerts Spiel „Eurocrisis“ – auf Deutsch „Euro-Krise“ – weder besonders viel Macht noch Moral. Mit der Aktionskarte „Rom“ können die Spieler alias Banken zum Beispiel eine „Bunga-Party“ schmeißen, um Regierungen zu bestechen. Die Spielaktion ist den sogenannten Bunga-Partys des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi nachempfunden, der bei den Feiern die Prostitution von Minderjährigen gefördert und anschließend Zeugen in einem Gerichtsverfahren bestochen haben soll, um nicht ins Gefängnis zu wandern.

Aber Korruption ist nicht alles: Auch die Macht der EU-Kommission sorgt in Diekerts Spiel dafür, dass die Regierungen eigentlich nicht viel zu sagen haben. Sie müssen sich Brüssel beugen, wenn es zum Beispiel darum geht, Post oder Eisenbahn zu privatisieren: Wer bei Privatisierungen am meisten Gold bietet, darf die irische Stahlindustrie oder das französische Bildungswesen in Besitz nehmen: Klötzchen drauf, und weiter geht’s.

Bestellen genug, wird das Spiel produziert

Spielspaß, während Europa im Abgrund versinkt? Die Finanzkrise hätte er schlicht als „sexy Thema“ für ein Brettspiel gesehen, erklärt Diekert. „Spiele über das Mittelalter oder die Eisenbahn gibt es schon genug.“ Diekert sieht eine positive Wirkung seines Spiels: Der satirische Blick auf die Krise könne Spieler dazu bringen, die richtigen Fragen zu stellen. Zum Beispiel: „Ist es eigentlich normal, dass manche Staaten so hoch verschuldet sind und viele Menschen hier in Deutschland trotzdem noch in Saus und Braus leben?“

Bisher gibt es das Spiel mit buntem Spielfeld und Holzklötzchen für drei bis vier Spieler nur als Prototyp. Anfang Juni haben Diekert und einige Freunde eine Finanzierungskampagne im Internet gestartet, um 500 Stück zu produzieren. Auf der Online-Plattform „Startnext“ können Interessenten das Spiel bestellen. 39 Euro kostet es inklusive Versandkosten. Wirklich eingezogen wird das Geld nur, wenn bis zum 19. Juli 2015 genug Bestellungen zusammenkommen, um die Produktionskosten zu bezahlen. Rund 13 500 Euro, also etwa 300 Bestellungen, sind dafür notwendig. Die restlichen 200 Stück will Diekert auf Messen und an Freunde verkaufen.

Bis jetzt haben die Spielemacher etwa ein Sechstel des notwendigen Betrags zusammen. Auch außerhalb von Deutschland haben schon zwei Menschen das Spiel bestellt: ein Engländer – und ein Franzose, obwohl Frankreich zu den Staaten gehört, deren Zukunft in „Euro-Krise“ verspielt wird. Nicht ganz so erfreut wie der Käufer waren zwei andere Franzosen bei der Spielemesse in Essen, wo Diekert seine Idee im vergangenen Herbst vorgestellt hat. „Zwei Franzosen waren ziemlich sauer, dass Frankreich in dem Spiel mit Krisenstaaten wie Griechenland über einen Kamm geschoren wird“, erzählt der Tübinger.

Verständnis für die Empörung der Franzosen hat er nur begrenzt. Ein satirischer Blick auf die Situation, findet Diekert, sollte immer möglich sein – auch dann, wenn man selbst betroffen ist. Feindlichkeit gegenüber Südeuropäern hegt der junge Tübinger offenbar keine: Seine Freundin ist Französin, in seinem Zimmer hängt eine große europäische Flagge an der Wand. Eine Lösung für die Krise wäre eher mehr Europa als weniger. Die Banken selbst sieht Diekert aber auch nicht in der Schuld. „Es ist ja ihr Job, gierig zu sein.“ Stattdessen müsse sich das System ändern, müssten den Geldhäusern Grenzen gesetzt werden. Die Finanztransaktionssteuer sei ein Schritt in die richtige Richtung. Diekerts politische Ansichten werden in den Spielregeln aber nicht erklärt – weshalb das Spiel in Südeuropa wohl auch weiterhin für Verärgerung sorgen dürfte.