Foto: Christoph Kutzer

Die bauliche Zukunft der Brenzkirche im Stuttgarter Norden ist offen. Ein neues Bauheft dokumentiert ihre Geschichte zwischen Aufklärung und Nationalsozialismus.

S-Nord -

Als die Brenzkirche am Killesberg 1933 eingeweiht wurde, wirkte sie wie ein Außenposten der einige Jahre zuvor entstandenen Weißenhofsiedlung. Der Architekt Alfred Daibler, der auch für die städtebauliche Planung der Raitelsberg-Siedlung in Stuttgart-Ost verantwortlich war, hatte einen modernen Bau entworfen, der für heftige Diskussionen sorgte. Eine abgerundete Ecke des Gotteshauses zur Straße Am Kocher hin, die offene Konstruktion des Glockenturms, flache Dächer und ausladende Fensterbänder beschritten ästhetische Wege, die nicht nur bei Nationalsozialisten auf Ablehnung stießen. Wer solche Details im Hinterkopf hat, ist überrascht, wenn er dem Sakralbau im Stuttgarter Norden heute gegenübersteht. Wenig erinnert an die kühnen Ideen von einst.

Zum einen waren die Nazis schon 1938 bemüht gewesen, „liberalistische Gesinnung“ der Architektur durch Veränderungen auszumerzen. Zum anderen wurde die beschädigte Kirche nach dem Krieg ganz im Sinne der nationalsozialistischen Vorstellungen instandgesetzt.

Die Utopie eines Gemeindezentrums

„Damals wurde die Chance verpasst, eine neue Geisteshaltung zu zeigen und den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen“, bedauert Pfarrer Karl-Eugen Fischer. Damit die Vergangenheit zumindest nicht in Vergessenheit gerät, hat er gemeinsam mit Kirchenrat Reinhard Lambert Auer und zwei weiteren Autoren das „Stuttgarter Bauheft 01 – Die Brenzkirche“ veröffentlicht. Die Broschüre ist das Ergebnis eines einjährigen Arbeitsprozesses. Im Februar 2016 hatte sich eine Arbeitsgruppe zusammengefunden, um das Kompendium auf den Weg zu bringen. Am Sonntag wurde es im Zuge eines gemeinsamen Gottesdienstes aller Nord-Gemeinden der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Publikation enthält neben historischen Einblicken wie Bauplänen und Skizzen auch einen gewagten Ausblick in die Zukunft: Die Utopie eines Gemeindezentrums, wie es bislang am Killesberg fehlt. Die in Teilen rückgebaute Kirche steht bei diesem Entwurf der Stuttgarter Architekturstudentin Mariella Schlüter im Mittelpunkt.

Eine vollständige Wiederherstellung des Urzustands dürfte kaum möglich sein. Seit 1984 steht die Brenzkirche unter Denkmalschutz – als steinerner Zeuge des nationalsozialistischen Vorgehens gegen das Neue Bauen. Der Wunsch nach einer Veränderung des Gebäudes besteht weiter. Für den Kunsthistoriker und Theologen Lambert Auer geht es dabei nicht nur um Architektur, sondern auch um das Glaubens- und Gemeindeverständnis, um eine „Theologie d es Raumes“. Kirchenbauten hätten immer eine Botschaft, betont er.

Nach Bonhoeffers Vorstellungen

Die Brenzkirche habe in den 1930er-Jahren eine Öffnung nach außen signalisiert. „Die ersten Pläne zeigen einen offenen Eingangsbereich, der allerdings nicht realisiert wurde“, so der Kirchenrat. „Innen saß die Gemeinde ohne Ansehen der Person in einem Block beisammen. Der auf Augenhöhe liegende Altar sollte bei Bedarf beiseite geräumt werden können, um einer Bühne Platz zu machen, da der Kirchenraum gleichzeitig auch als Gemeindesaal gedacht war.“ Solch ein multifunktionaler Raum ohne repräsentative Elemente entspricht den Vorstellungen Dietrich Bonhoeffers von einer nachsakralen „Kirche für die Welt“.

Pfarrer Fischer fördert das Gemeinschaftsgefühl, indem er die Anwesenden auffordert, verschiedene Abschnitte aus dem Bauheft, die vor dem Gottesdienst an die Besucher verteilt worden waren, gleichzeitig laut zu verlesen und sich dabei einander zuzuwenden. Rasch entstehen aus dem vielstimmigen Gemurmel heraus Gespräche. Das Interesse an Geschichte und Zukunft der Brenzkirche ist groß. Das unterstrich auch der Appell von Bezirksvorsteherin Sabine Mezger. Sie forderte die Gemeindemitglieder auf, ihre Überlegungen zur Umgestaltung des Gotteshauses in den Bürgerhaushalt einzubringen.