Die Brenzkirche sieht heute völlig anders aus als früher Foto: Peter Petsch

Die Brenzkirche auf dem Killesberg ist einstmals eines der ungewöhnlichsten Gebäude der Stadt gewesen – errichtet im Bauhausstil. Doch den Nationalsozialisten war das ein Dorn im Auge. Nach dem Umbau sieht die Kirche heute völlig anders aus. Das betrübt den Pfarrer.

Stuttgart - Höhenpark, Kunstakademie, Weißenhofsiedlung – rund ums ehemalige Messegelände auf dem Killesberg gibt es eine Vielzahl von Attraktionen und interessanten Orten. Einer davon versteckt seine außergewöhnliche Geschichte sehr erfolgreich. Denn kaum jemand bemerkt in der Straße am Kochenhof, direkt gegenüber der Kunstakademie, eine Kirche. Und wenn, dann meist mit Unbehagen. Denn die evangelische Brenzkirche wirkt in ihrer Erscheinung irgendwie plump und unstimmig. Dabei war sie einstmals eines der ungewöhnlichsten Gotteshäuser weit und breit.

„Die Kirche ist verunstaltet“, bringt Karl-Eugen Fischer den Eindruck auf den Punkt. Seit drei Jahren ist er dort Pfarrer – und die Geschichte seiner Kirche lässt ihn nicht los. Besonders, wenn er alte Schwarz-Weiß-Fotos betrachtet, auf denen das Gebäude im ursprünglichen Zustand zu sehen ist. Und darauf so ganz anders wirkt wie heute. Ungewöhnlich modern, architektonisch geradezu unverschämt in die Zukunft weisend.

Es sind die frühen 30er. Die Gemeinde auf dem Killesberg braucht eine neue Kirche mit Gemeinde- und Wohnräumen. Die Wahl fällt auf ein Grundstück nur einen Steinwurf entfernt von der neuen Weißenhofsiedlung. Architekt Alfred Daiber wird mit der Planung beauftragt. Und entwirft Ungewöhnliches. Ein zweigeschossiges Gotteshaus in sehr modernem, zurückgenommenem Stil. Statt einer Ecke gibt es eine abgerundete Fassade zur Straße hin, große Fenster, Flachdach und Glasbänder. Der Glockenturm ist eine offene Skelettkonstruktion. Fassade und das Innere mit dem Kirchenraum im zweiten Stock sind weiß und schlicht.

"Vielen sah das Gebäude zu wenig nach Kirche aus"

Eine Kirche im Bauhausstil. Dazu hat sicherlich die benachbarte Weißenhofsiedlung beigetragen. Aber nicht nur, weiß Pfarrer Fischer. Es gab auch ganz pragmatische Gründe. „Der Untergrund dort ist sehr schwierig. Der ursprüngliche Entwurf sah wohl etwas anders aus und wäre sehr teuer geworden“, erzählt er. Der Turm verdankte seine Gestalt auch dem Umstand, dass sein Standort als mögliche Erweiterungsfläche dienen sollte. Er hätte schnell abgebaut werden können. „Das Ganze war sehr filigran und ästhetisch“, schwärmt Fischer.

Und schon damals hoch umstritten. „Die Gemeinde war gespalten. Es gab Gegner und Befürworter“, so der Pfarrer. Vielen sah das Gebäude zu wenig nach Kirche aus. Als Seelensilo oder Zigarrenfabrik wurde es verspottet. Als es 1933 eingeweiht wurde, wehte bereits der Hauch der Nationalsozialisten durch Stuttgart. Und die machten kurzen Prozess. Als klar war, dass in Stuttgart 1939 die Reichsgartenschau in unmittelbarer Nachbarschaft stattfinden sollte, war es um die Brenzkirche geschehen. „Man wollte dem Führer ein solches Gebäude nicht zumuten“, sagt Fischer.

Die Stadtverwaltung teilte dem Oberkirchenrat 1938 mit: „Die Kirche fügt sich in keiner Weise in die städtebauliche Umgebung ein und wirkt störend im Stadtbild. Ihre architektonische Gestaltung lässt leider in auffälligem Maße liberalistische Baugesinnung erkennen.“ Binnen weniger Monate wurde die Brenzkirche umgebaut. Das Runde wurde eckig, Butzenfenster ersetzten die großen Glasflächen, der Turm wurde verkleidet, alle Gebäudeteile erhielten Giebeldächer. Weder die Gemeinde noch der Architekt wehrten sich dagegen.

Für Fischer beginnt der „eigentliche Skandal“ aber erst einige Jahre später. Nach leichten Zerstörungen im Krieg wird die Brenzkirche 1947 wiederaufgebaut – im von den Nazis angeordneten Stil. „Da hätte man einen neuen Anfang machen, eine neue Geisteshaltung zeigen können“, kritisiert Fischer. Stattdessen experimentiert man auch noch im Innenraum mit Elementen, die nicht zusammenpassen. Und stellt das Ganze später unter Denkmalschutz. Die jetzige Erscheinung ist zementiert. Begründung: Die Kirche sei ein Zeugnis für die Auseinandersetzung des Neuen Bauens mit dem Nationalsozialismus.

„Diese Begründung erscheint mir immer fragwürdiger“, sagt Pfarrer Fischer. Das Gebäude stehe für eine Geisteshaltung, die man nicht gutheißen könne. „Als Gemeinde haben wir keine Möglichkeit, etwas sichtbar zu machen, was mal da gewesen ist“, kritisiert er. Nur im Treppenaufgang sieht man innen noch die ursprüngliche Rundung der Außenwand. „Mein Wunsch wäre, gemeinsam mit dem Denkmalschutz etwas hinzubekommen, was ein bisschen von dem wieder freilegt, was durch die Verschandelung vernichtet worden ist“, so Fischer. Das könnte die Leute auf den Konflikt hinweisen und Interesse an der Kirche wecken.

Groß ist die Chance darauf nicht. Und doch könnte die Gelegenheit günstig sein, einen Vorstoß zu wagen. Denn in den nächsten Jahren bekommt die Brenzkirche eine neue Nachbarschaft. Auf dem angrenzenden Parkplatz werden Häuser gebaut, die Kirche wird in der neuen Siedlung einen zentralen Platz einnehmen. Großer Wunsch der Anwohner sei ein Platz vor dem Gotteshaus, sagt Fischer. Und: „Die Kirche soll in ihrer Besonderheit wieder deutlich sichtbar sein.“ Damit sie sich einreiht in die Attraktionen der außergewöhnlichen Umgebung.

Hintergrund: Die Weißenhofsiedlung

Hintergrund: Die Weißenhofsiedlung

1927 veranstaltete der Deutsche Werkbund in Stuttgart eine Ausstellung unter dem Motto „Die Wohnung“. An verschiedenen Stellen der Stadt wurden Beispiele für moderne Architektur, das Neue Bauen, gezeigt. Zentraler Punkt wurde eine Mustersiedlung auf dem Weißenhof am Killesberg. Dort entstanden 21 Häuser, die nach einigen Streitereien nicht von Baumeistern der traditionalistischen Stuttgarter Schule errichtet wurden, sondern von berühmten internationalen Architekten wie Ludwig Mies van der Rohe, Walter Gropius oder Le Corbusier. Die vorwiegend kubischen Flachdach-Gebäude wurden weltberühmt.

Wenige Jahre später benötigte die evangelische Kirchengemeinde am Killesberg eine neue Kirche. Das Grundstück lag in unmittelbarer Nähe zur Weißenhofsiedlung. Auch deshalb entstand dort ein ungewöhnliches Gotteshaus im Bauhausstil. Die Brenzkirche wurde nach dem württembergischen Reformator Johannes Brenz benannt und im Jahr 1933 eröffnet.

Dem neuen nationalsozialistischen Regime gefielen weder Siedlung noch Kirche. Während das Gotteshaus 1939 umgebaut und „eingedeutscht“ wurde, entgingen die weltberühmten Häuser nur knapp der Zerstörung. Das von den Nazis „Araberdorf“ getaufte Ensemble war bereits zum Abbruch an das Deutsche Reich verkauft. Dazu kam es letztendlich aber nicht – wahrscheinlich wegen Ausbruchs des Krieges.

Heute gilt die Siedlung als architektonische Hauptsehenswürdigkeit der Stadt. Das Haus Le Corbusier beherbergt ein Museum. (jbo)