Die schöne blaue Donau als Fototapete Foto: Karl Forster/Festspiele

Aus Ödön von Horváths bitterem Schauspiel „Geschichten aus dem Wiener Wald“ ist bei den Bregenzer Festspielen eine bitterböse neue Oper geworden. Die ist exzellent gearbeitet, aber nicht ohne Durchhänger.

Bregenz - Die kleine Frau ist ganz alleine. „Was hast du mit mir vor, lieber Gott?“, singt Marianne verzweifelt. Am Ende des Stücks, nachdem sie den Geliebten, ihr Kind und alle Anerkennung der Gesellschaft verloren hat, schleppt sie der Metzger, der sie immer haben wollte, ab wie ein Stück Vieh, das auf die Schlachtbank soll. Dann wird sie auf ihre Frage immer noch keine Antwort wissen, und das Leben wird weitergehen wie bisher: unerbittlich, ohne Sinn und Verstand.

Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ sind zynisch – ein „Wiener Volksstück gegen das Wiener Volksstück“, wie es Erich Kästner einmal treffend genannt hat. Mit gutem Grund verweist der österreichische Schriftsteller („Eigentlich bin ich ganz anders, ich komm’ nur so selten dazu“) 1930 mit dem Titel des Schauspiels auf den gleichnamigen Walzerhit von Johann Strauß: Die biedere Gemütlichkeit und Selbstgenügsamkeit des Dreivierteltaktes steht bei ihm für Lüge, für den dumpfen Triumph des Kleinbürgerlichen in der Zeit der Weltwirtschaftskrise. Hinzu kommt eine Abrechnung mit den klischeehaften Charakterzügen des Wieners, also mit Oberflächlichkeit, Gemütlichkeit und Selbsthass. Immer wieder tauchen im Text deswegen Stücke des Walzerkönigs auf. „An der schönen blauen Donau“, „Frühlingsstimmen“, „Wiener Blut“, „Über den Wellen“. Eins, zwei und drei, eins, zwei und drei. Bei Horváth tönt all dies von einem alten Grammofon oder aus einem Zimmer im zweiten Stock, in dem eine Realschülerin, ein „talentiertes Kind“, Klavier spielt.

Bei HK Gruber (70), dem Komponisten, dem Chansonnier, dem Rezitator, der am Mittwochabend im Bregenzer Festspielhaus auch als Dirigent seiner neuen Oper vor den Wiener Symphonikern stehen darf, ist das Klavier verstimmt, das immer wieder von der Hinterbühne tönt, und die Großmutter zitiert mit Zitherspiel schöne Heurigenseligkeit.

Den Walzer hat Gruber ein bisschen versteckt, ein bisschen entbeint und zerstückelt, manchmal auch in ein typisches Kurt-Weill-Klanggewand gepackt. Er ist aber da, unverkennbar – schon im Vorspiel, in dem sich mehrere Dreivierteltakte gegeneinander verschieben. Man spürt die typische verlängerte zweite Taktzeit, man spürt das Wirbeln und Drehen, das nicht aufhören will – und wenn der Schwindel doch einmal weicht, dann nur, um ein paar taumelnden Blasmusikern Platz zu machen oder um mal sentimental, mal gar pathetisch einsame Figuren auf der Bühne zu begleiten. Auch diesen Momenten mag man nicht recht trauen.

Die Oper „Geschichten aus dem Wiener Wald“ ist ein handwerkliches Meisterstück. Exzellente Sänger verstärken diesen Eindruck: die wundersam höhenschöne Sopranistin Ilse Eerens als Marianne, die zupackend gestaltende Mezzosopranistin Angelika Kirchschlager als Valerie, die beiden exzellenten Tenöre Jörg Schneider (Oskar) und Michael Laurenz (Erich), dazu Daniel Schmutzhard als Alfred und Albert Pesendorfer als Zauberkönig, ja sogar die alte Anja Silja als Großmutter.

Einwände kommen erst mit der Zeit. Sie stellen sich ein, wenn man die Machart der Musik zu durchschauen beginnt, so dass diese vorhersehbar wird, langweilig. Und sie stellen sich auch ein, wenn man die Oper mit ihrer Vorlage vergleicht. Dann bemerkt man, dass der Komponist seiner Partitur zwar Horváths Generalpausen einverleibt und dem Stück eine neue, schnellere Dynamik verliehen hat, indem er vor allem die vielen kurzgliedrigen, leeren Dialoge Horváths in Ensembles zusammenfasste. Aber das Schauspiel bräuchte die Musik nicht. Es ist schon alleine stark.

Und es ist alleine schon so musikalisch, dass vieles Dazukomponierte das Vorhandene nur verdoppelt – oder gar die Konturen der bösen Satire mit Klängen verwässert. Die Sprachlosigkeit, die Horváths Bühnenmenschen trotz all ihres Plapperns anhaftet, also die Tatsache, dass sie zwar viel sagen, sich aber, einfältig, wie sie allesamt sind, eigentlich nichts zu sagen haben, lässt die Musik fast vergessen. Vielleicht hat der mit freundlicher Zurückhaltung und präziser Personenführung inszenierende Michael Sturminger in seiner Librettofassung des Schauspiels auch einfach zu viele Wörter stehen gelassen.

Am Ende gibt es bejahenden Beifall für das Werk eines Altmeisters. „Es bleibt“, sagt Verena in Horváths Schauspiel und in HK Grubers Oper, „immer etwas in einem drinnen.“ Sie wird wohl recht haben.