Die Seebühne in Bregenz – in diesem Jahr spielt dort „Die Zauberflöte“ Foto: Anja Köhler

„Intelligente Spektakel“ wollen die Bregenzer Festspiele auf ihrer Seebühne bieten. Nachdem „André Chénier“ 2011 und 2012 trotz spektakulärer Bilder für einen starken Rückgang der Zuschauerzahlen sorgte, soll nun Mozarts beliebtestes Stück die Bilanzen aufpolieren. Die Chancen stehen gut.

Drei Drachen. Oder drei Hunde. Oder drei Drachenhunde – ja, es sind drei Drachenhunde, welche die Flaneure am Bregenzer Bodenseeufer in diesem Jahr schon von weitem daran erinnern, dass es hier alljährlich von Mitte Juli bis Mitte August nicht nur wunderschöne Natur, sondern auch wundervolle Kunst zu betrachten gibt.

Die drei riesenhaften, bunten Drachenhunde sind durch Hängebrücken miteinander verbunden. Sie thronen über der Drehbühne, die einem ebenfalls riesenhaften grünen Schildkrötenpanzer ähnelt; auf ihrer einen Seite findet sich ein lustiger Wald aus aufblasbaren Riesengräsern, auf der anderen sehen wir wahlweise das Sonnenreich Sarastros oder die Königin der Nacht, gestützt oder gefesselt in einem blauen Fächerkranz, der nach oben und wieder nach unten fahren kann. Der Gesang der drei Damen und der drei Knaben (die hier Sopranistinnen sind) wird live aus dem Festspielhaus übertragen; ihre Stellvertreter auf der Bühne sind Spieler, die überlebensgroße Puppen bewegen. Im Falle der Damen sitzen diese auf eindrucksvoll grazilen bunten Flugmonstern, im Falle der Knaben haben sie große Säuglingsköpfe.

Spektakel und Tiefe, Ernst und Unterhaltung bewundernswert zusammengebracht

Hinzu kommt Monostatos, Mozarts böser Mohr, der hier aussieht wie Spiderman und stets gemeinsam mit rot-schwarzen Gesinnungsgenossen auftritt, und der vernünftige Sarastro muss wohl geschlafen haben, als sich Monostatos aus seinem Schoss herausgerollt und sich gleichsam selbst geboren hat.

Dies geschieht zu den Klängen der Ouvertüre: Da gleitet auf einer Gondel, die Trauer trägt, ein Sarg vorüber, rechts und links von ihm sitzen eine Frau und ein Mann, dahinter ein Mädchen, und später, wenn das Bild des Verstorbenen nochmals auf die Bühne projiziert wird, begreift man, dass man in Bregenz zwischen der Königin der Nacht und Sarastro erstmals den Vater Paminas als Leiche gesehen hat. Die wird allerdings rasch in den schwarzen Totenkasten eingeklappt, und zum Rest der Ouvertüre kämpfen Spinnenmenschen gegen Frauen, was erwartungsgemäß („Die Zauberflöte“ ist nicht frei von Machismo) mit dem Raub Paminas sowie einer überschätzten Devotionalie endet.

Man muss bewundern, wie es dem Regie führenden Intendanten David Pountney gemeinsam mit dem Bühnenbildner Johan Engels und mit der Kostümbildnerin und Puppendesignerin Marie-Jeanne Lecca hier gelingt, Spektakel und Tiefe, Ernst und Unterhaltung zusammenzubringen – und Mozarts oft für unheilbar brüchig befundenes Stück schließlich zu einem schlüssigen Ende zu führen, das sogar Mozarts Freimaurer-Ideen noch gerecht wird. Sarastro, fordert Pountney, dürfe man halt selbst dann nicht glauben, „wenn er schön spricht“ – und streicht dem Gutmenschen, um den Zweifel auch der Zuschauer an dessen salbungsvollen Sätzen zu nähren, einfach die erste Strophe seiner berühmten Hallenarie.

Bregenzer Klangtechnik beweist bei dieser „Zauberflöte“ exzellente Qualitäten

So kommt es, dass aus dem Kampf der männlichen gegen die weibliche Welt, den weder Sarastro noch die Königin überleben, im Finale durchaus folgerichtig das Paar Pamina und Tamino als neues Lebensprinzip hervor- und sogar über das Wasser geht. Der Chor, jetzt erstmals nicht aus dem Hintergrund singend, platziert sich in den Rängen und präsentiert mit einheitlichen Regenbogen-T-Shirts die Corporate Identity der schönen neuen Welt.

Zwischendurch erhebt sich eine aufgepustete Riesenschlange aus dem Bodensee, turnen die Monostatos-Mannen auf der Bühne und seilen sich von den Drachenhunden ab, zu Sarastros salbungsvollsten Sätzen bekommt der böse Mohr zwecks Ironisierung einmal nicht hinter, sondern auf der Bühne seine 77 Sohlenstreiche, die alte Papagena wächst, als käme sie aus Alices Wunderland, mitsamt einem voll beladenen Teewagen und mit einem Hut von Tellern und Tassen aus dem Bühnenboden. Später darf sie als junge Papagena wie ein Küken aus einem Riesenei schlüpfen, und Pamina gleitet auf einer Mini-Insel ins Bild, gefangen in einem gläsernen Käfig.

Die musikalische Übertragungsanlage verortet den Klang sehr präzise an seinen Entstehungsorten, und überhaupt beweist die Bregenzer Klangtechnik bei dieser „Zauberflöte“ exzellente Qualitäten. Dass der Dirigent Patrick Summers die Wiener Symphoniker oft zu extrem zerdehnten Tempi voller überkünstelter Verlangsamungen und Beschleunigungen nötigt, hört man deshalb leider auch sehr gut.

Mozarts „Zauberflöte“ ist weltweit die beliebteste Oper

Von Vorteil ist die Verstärkung für Stuttgarts Koloratur-Star Ana Durlovski als glänzende Königin der Nacht, deren präzise Tonkaskaden hier gegenüber dem Orchester nie ins dynamische Hintertreffen geraten. Zwischen fein gesetzten Piano-Tönen, Schärfen und Ungenauigkeiten spannt sich das vokale Spektrum Gisela Stilles als Pamina auf, Norman Reinhardt schlägt sich als Tamino-Einspringer mit gutem Erfolg, Alfred Reiter als Sarastro und Martin Koch als Monostatos sind rollendeckend besetzt, und Daniel Schmutzhardt beweist als Papageno wieder einmal, dass seine Partie die dankbarste ist, der immer wieder am ausgiebigsten applaudiert wird.

Ein paar Tropfen Regen können dem allgemeinen Jubel am Premierenabend nichts anhaben. Mozarts „Zauberflöte“ ist weltweit die beliebteste Oper, David Pountney weiß auf und vor der Bühne die Massen zu bewegen, Naturkulisse und Urlaubsregion geben das Ihre dazu – und fertig ist eine eindrucksvolle Produktion mit einkomponiertem Hit-Potenzial, die schon im Vorfeld Vorverkaufs-Rekorde gebrochen hat. Schöne neue Welt!